Wenn der Kreistag in Einbeck tagt…

(c) Foto: Frank Bertram

Als der Northeimer Kreistag im August 2019 letztmals in Einbeck im Forum der Berufsbildenden Schulen tagte, war der marode Sitzungssaal im Kreishaus der Grund. Der ist zwar immer noch marode, mittlerweile wird nicht allein der Saal erneuert, sondern das gesamte Kreishaus umfangreicher saniert. Erstmals seit der Pandemie fand eine Sitzung in Einbeck statt. An dem jüngsten Treffen des Kreistages im BBS-Forum, das wieder als Hybridsitzung organisiert war, nahmen 46 von 51 Kreistagsabgeordnete teil, aber nur 29 waren persönlich anwesend, die Übrigen hatten sich online zugeschaltet. Krankheitsbedingt nahm Kreistagsvorsitzende Frauke Heiligenstadt (SPD) zwar online an der Sitzung teil, hatte die Sitzungsleitung aber ihrem Stellvertreter Günther Kelter (CDU) in Präsenz überlassen.

Mitreißende Themen hatte der Kreistag am Freitag nicht zu entscheiden, viele Formalia waren zu klären, Gremien um oder neu zu besetzen. Landrätin Astrid Klinkert-Kittel ließ jedoch bereits zu Beginn der Sitzung bei ihrem Bericht über wichtige Angelegenheiten aufhorchen: Der Landkeis Northeim kehrt in seinen Kfz-Zulassungsstellen zu der Software zurück, die bis Ende 2022 im Einsatz war. Wie die Landrätin erläuterte, habe es nach der Umstellung zum 1. Januar auf das neue, von den Kommunalen Diensten Göttingen (KDG) ausgewählte Fachverfahren „VOIS.Kfz“ viele Probleme gegeben. „Es läuft bis heute nicht fehlerfrei“, sagte sie. Die Bearbeitungszeiten seien gestiegen, fehlerfreies Arbeiten sei durchweg nicht möglich. Der Landkreis habe teilweise seine Zulassungsstellen wegen Softwareproblemen sogar komplett schließen müssen, was zu einer hohen Unzufriedenheit bei Kunden und Mitarbeitern geführt habe. Sie habe sich deshalb vom Kreisausschuss ermächtigen lassen, das Vertragsverhältnis wieder zu kündigen und zum bisherigen „OK.Verkehr“ zurückzukehren. Über einen geregelten Ausstieg aus der gerade erst installierten neuen Software habe sie bereits vergangene Woche Gespräche geführt. Der Landkreis Göttingen mit der KDG werde sich dem Ausstieg anschließen, sagte Klinkert-Kittel.

Löblich war zwar, dass die Kreishaus-Chefin sich bei ihrem 13-seitigen Bericht, wie selbst ankündigte, auf wenige Themen beschränkte, die sie mündlich in der Sitzung vortrug (unter anderem auch noch die Terminankündigung des 50-jährigen KVHS-Jubiläums am 1. September in der Stadthalle Northeim). Allerdings hätte die Landrätin ihr Versprechen („Der Bericht wird ihnen zeitgleich in voller Gänze zur Verfügung gestellt“) dann auch umsetzen müssen. Bis Montag Mittag war das Dokument leider nicht öffentlich einsehbar… und erst nach mehrfacher Intervention ist es inzwischen online.

Der Kreistag hat in der Einbeck-Sitzung außerdem im Regionalen Raumordnungsprogramm (RROP) die Ziele und Grundsätze, wie sich Siedlungs- und Versorgungsstrukturen im Landkreis Northeim künftig entwickeln dürfen, einstimmig neu gefasst. Das RROP wird zurzeit überarbeitet. Im Oktober sollen die jetzt beschlossene Fassung noch einmal öffentlich ausgelegt und die Bürger beteiligt werden. Für Änderungen am ursprünglichen Entwurf hatten sich sowohl SPD als auch CDU-FDP-Die Unabhängigen im vergangenen Sommer ausgesprochen. Nun sollen alle Ortschaften und nicht nur die so genannten zentralen Orte weitere (Neubau-) Entwicklungsmöglichkeiten bekommen, wobei ein sparsamer Flächenverbrauch und der Vorrang der Innenentwicklung gelten soll. Joachim Stünkel (CDU) lobte die Zusammenarbeit mit der Verwaltung in diesen Fragen. Das stärke die kommunale Selbstverwaltung. Auch André Neubauer (SPD) dankte für den gemeinsamen Konsens. Es sei nun gut gelöst, dass sich kleinere Orte ebenfalls entwickeln können. Positiv sah er die geschaffene Möglichkeit, dass im Bereich der Autobahn 7 im RROP gemeindeübergreifende Vorranggebiete für industrielle Anlagen und Gewerbe festgelegt werden. Norbert Nissen (Grüne) freute sich über die festgeschriebenen Baulückenkataster in den Städten und Gemeinden, die einer Entwicklung entgegen wirken sollten, dass Orte sich immer weiter nach außen ausdehnen „und im Inneren stürzen dann die Häuser ein – das kann’s natürlich nicht sein“.

Kontroverse Debatten gab es in der jüngsten Sitzung des Northeimer Kreistages zu mehreren Anträgen der AfD-Fraktion. Vor allem die Forderung der AfD nach „Ortsterminen in Flüchtlingsunterkünften des Landkreises“, welche den Kommunalpolitikern die Möglichkeit geben sollten, die Lage zu beurteilen und „sich über mögliche Missstände zu informieren“, führte dazu, dass sich der Kreistag mit großer Mehrheit entschied, nicht weiter über diesen Antrag in einem Ausschuss zu sprechen. „Nichtbefassung“ nennt sich das im Politikdeutsch. Befasst haben sich die Politiker dann mit dem Thema allerdings trotzdem – direkt im Kreistag.

Es sei „frech, schamlos und unverschämt“, Missstände zu suggerieren und durch die Unterkünfte wie durch einen Zoo hindurch gehen zu wollen, ärgerte sich CDU-Fraktionsvorsitzende Beatrix Tappe-Rostalski. Offenbar wie früher bei den Menschenschauen bei Hagenbeck, ergänzte Tom Hendrik Becker (FDP). Die Kreisverwaltung habe alle Kreistagsabgeordneten frühzeitig und ausführlich über die Lage der Flüchtlinge aus der Ukraine informiert, habe vorbildlich gehandelt. SPD-Fraktionschef Uwe Schwarz nannte den Antrag einen „massiven Verstoß gegen die Menschenwürde“, der für das Menschenbild der AfD spreche. AfD-Fraktionsvorsitzender Maik Schmitz empfand vor allem die Verbindung zu Hagenbecks Menschenschauen eine Frechheit und verbale Entgleisung: „Ich bin erzürnt.“ Man sei von der Verwaltung zwar informiert worden, möchte sich aber selbst gerne ein Bild vor Ort machen. Auf Landesebene sei so etwas alles möglich, sogar mit Medienbegleitung. „Wer verwehrt Ihnen denn, mit Flüchtlingen in Kontakt zu kommen“, fragte Grünen-Fraktionsvorsitzende Karen Pollok die AfD-Vertreter. Wenn sie einmal freundlich anklopfen würden, könnten solche Gespräche sicherlich entstehen.

Zuvor hatte der Kreistag mit großer Mehrheit gegen die drei AfD-Stimmen die Landrätin beauftragt, für eine stärkere Demokratieförderung zunächst eine Bestandsaufnahme der im Landkreis vorhandenen Initiativen und Maßnahmen zu erarbeiten, welche extremistischen und extremen Strömungen entgegen wirken. Das bereits bestehende Programm „Demokratie leben!“ soll mit mehr Geld ausgestattet werden. AfD-Fraktionschef Maik Schmitz hatte die Ablehnung seiner Fraktion damit begründet, dass zu wenig auf den Bereich des Linksextremismus und des Islamismus geschaut werde. Es gelte doch, jegliche extremistischen Bestrebungen zu ächten, dazu zählte Schmitz auch die „durchgeknallten Klimaterroristen“, wie er die so genannte Letzte Generation nannte. Außerdem habe zu dem Thema die AfD den Antrag zuerst gestellt, bemerkte Andreas Jakob (AfD), doch das werde von den anderen Fraktionen nicht beachtet: „Ihr und die Medien könnt ja alle so weitermachen, uns ausgrenzen und beschimpfen etc., ist definitiv nicht zielführend, auch für Euch nicht. Wir werden dann in der nächsten Wahl hier und im Stadtrat mit ein paar mehr bodenständigen AfDlern auftreten“. Der Antrag jedoch denke vom falschen Ende her, schlage sofort konkrete Aktionen und Handlungen vor, kritisierte Christian Krug (SPD). Vorher müsse aber über einige Dinge grundsätzlich gesprochen werden, um Parallelstrukturen zu vermeiden und vorhandene Ressourcen zu bündeln, meinte auch Hans-Dietmar Kreitz (CDU). Karen Pollok (Grüne) dementierte, dass Anträge der AfD einfach so weggewischt würden, die AfD operiere oftmals jedoch mit falschen Begrifflichkeiten. Sie sprach sich bei der Demokratieförderung für den Austausch vorhandener Akteure aus, gemeinsam die Demokratie im Landkreis voranzubringen: „Wir wollen alle Demokraten an einen Tisch bekommen.“

(c) Foto: Frank Bertram
Erstmals seit der Pandemie tagte der Kreistag am Freitag im BBS-Forum in Form einer hybriden Sitzung, mehr als ein Dutzend Kreistagsmitglieder nahmen online teil.

3 Kommentare zu „Wenn der Kreistag in Einbeck tagt…

  1. „Der Landkeis Northeim kehrt in seinen Kfz-Zulassungsstellen zu der Software zurück, die bis Ende 2022 im Einsatz war. Wie die Landrätin erläuterte, habe es nach der Umstellung zum 1. Januar auf das neue, von den Kommunalen Diensten Göttingen (KDG) ausgewählte Fachverfahren „VOIS.Kfz“ viele Probleme gegeben. „Es läuft bis heute nicht fehlerfrei“, sagte sie.“
    Die steuerzahlende Öffentlichkeit wüsste bestimmt gern mehr über die Hintergründe, Gesamtkosten der Maßnahme und welche Regressansprüche gegenüber den Programmierern des untauglichen Verwaltungsprogramms bestehen. Wahrscheinlich keine, falls ähnliche juristische Experten auf Seiten des Landes tätig waren wie seinerzeit der Gesundheitsminister Spahn und seine Kollegen in Bayern und NRW beim Einkauf der untauglichen chinesischen Masken zu Beginn der Pandemie. Wenigstens haben sich damals ein paar CSU-Granden die Taschen mit „Vermittlungsprovisionen“ in Millionenhöhe aus dem Steuertopf füllen können. Das Geld müssen sie übrigens nicht zurückzahlen, wenn ich das Urteil in dieser Sache richtig verstanden habe.
    „Am Sonnabend gehört der Papi mir“ war ein Slogan der Gewerkschaften, mit dem sie in meinen jungen Jahren die 5 Tage Woche durchgesetzt haben. Ein anderer Slogan jener Zeit kam aus der Wirtschaft und leitete das Ende der Tante-Emma-Läden und der „Konsum“ Verkaufsstellen ein: „Niemand bedienst Sie so gut wie Sie sich selbst!“ Bei einer Reihe von Parteifunktionären unserer aktuellen Politikergeneration und einzelnen besonders herausragend erfolgreichen Persönlichkeiten scheint das Teil der eigenen DNA geworden zu sein. Das können wir „Normalos“ uns weiter gefallen lassen – oder auch nicht.

  2. Guten Abend,

    in der Tat war man der Ankündigung, dass die am 10.3.23 digital Anwesenden den Bericht über wichtige Kreisangelegenheiten zugesandt bekommen würden, in der letzten Woche nicht gefolgt. Wenig erquicklich war m. E., dass sich KTA Minkner auf das niedrige Niveau der AfD-Abgeordneten hinunterziehen ließ, als er zum Thema „Bildung“ die erbärmlichen Ausführungen des KTA Schmitz konterte. Aber vllt. war ihm auch nur ad hoc „die Hutschnur geplatzt“, wobei erstaunlich wenig Zwischenrufe zu vernehmen waren, als KTA Schmitz seine kruden Wortbeiträge vortrug. Schade, dass das Ganze vom stv. KT-Vors. Kettler nur milde weggelächelt wurde …

    Besten Gruß

    Helga Alisani

  3. Hallo,

    der in Einbeck-Iber als Betriebschef tätige, neue Kollege des AfD-Abgeordneten Schmitz im Kreistag hat kürzlich in einem Interview kundgetan, dass er als Politik-Neuling noch in der Lernphase sei. Diese Phase scheint er zügig abgeschlossen zu haben – leider wurde er während des „Lernprozesses“ wohl hauptsächlich von klar die ideologische Karte ausspielenden AfD-Mitgliedern unterrichtet. Anders kann man es sich sonst nicht erklären, wieso KTA Jakob jetzt auch verbal in die Fußstapfen seiner selbst ausgewählten Vorbilder aus den Reihen der AfD tritt. Beispielsweise verließ er den Weg der Fairness, als er Angriffe auf KTA Grascha formulierte, der aber in der vergangenen KT-Sitzung abwesend war und sich nicht verteidigen konnte. Hätte KTA Jakob an dieser Stelle geschwiegen, wäre er insoweit „ein Philosoph“ geblieben … Aber wenn man nur von einem Skript abliest und auf neue Gegebenheiten während der Sitzung nicht reagieren kann, fällt dieses manchen nicht so leicht. Nicht alle sind eben Improvisationskünstler! Mir ist bloß schleierhaft, weshalb die Mehrheitsgruppe im Ortsrat Iber sich vom ORM Jakob nicht nachhaltig distanziert und ihm den Austritt aus der Fraktion, auf deren Liste er 2021 in den Ortsrat kam, anstatt wie ein weiterer Iberaner auf der neu installierten AfD-Liste für den Ortsrat zu kandidieren, nahelegt.

    Gerade auf den lokalen Ebenen wie Stadtrat und Kreistag ist es doch angezeigt, vornehmlich sachgerechte Aspekte in Diskussionsbeiträgen zu benennen und dabei ideologische Gesichtspunkte – wie wir sie in Wortbeiträgen von MdL und MdB im TV ertragen müssen – hintanzustellen. Eine sachliche Diskussion sollte darauf abzielen, ein Thema oder Problem objektiv zu betrachten und zu analysieren. Ideologische Standpunkte hingegen können dazu führen, dass manche Argumente nicht ausgewogen betrachtet werden und damit zur Polemik verkommen. Es fehlt dann eben an der Zuhilfenahme des hoffentlich in den Reihen der AfD nicht komplett abhanden gekommenen gesunden Menschenverstandes.

    Indem man sachliche Aspekte in Diskussionen einbringt, kann man dazu beitragen, dass die Diskussion auf einer vernünftigen Ebene geführt wird. Das kann Beiträge dafür leisten, dass Lösungen für komplexe Probleme gefunden werden, da man sich auf die Fakten konzentriert und nicht auf die ideologischen Unterschiede. Schade ist es nur, wenn Überzeugungen bestimmter Mandatsträger nur schwer von ihnen selbst ignoriert werden können. Nichtsdestotrotz sollte man während des Meinungsaustausches in den KT-Sitzungen zumindest eine ausgewogene Balance zwischen sachlicher Analyse und ideologischen Standpunkten finden, um eine produktive und konstruktive Diskussion zu führen. Leider muss man wohl daran zweifeln, dass sich die AfD für ihre künftigen Auftritte in den örtlichen politischen Gremien wirklich an diesen Maßstäben orientieren will.

    Beste Grüße

    U. Aßmann

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