Heimat im Magazin

Einer der beiden Magazin-Räume im Stadtmuseum Einbeck.
Einer der beiden Magazin-Räume im Stadtmuseum Einbeck.

Sie sind schlicht, groß, aber nicht zu groß – die zwei neuen Magazin-Räume, die jetzt im Dachgeschoss des Einbecker Stadtmuseums die Heimatsammlung der oberschlesischen Patschkauer aufnehmen. Unter anderem auf schlichten Regalen eines schwedischen Möbelhauses lagert historisches Archivgut in über 150 thematisch sortierten Ordnern, stehen Archivbände alter Zeitungen, unzählige Bücher. Muss man das alles aufbewahren? „Wir wollten nicht auch noch aus der Geschichte vertrieben werden“, sagt Leo Schiller, der Vorsitzende des Heimatvereins der nach dem Zweiten Weltkrieg aus Patschkau und Umgebung vertriebenen Oberschlesier. Viele von ihnen, 1500 geschätzt, haben nach 1946 in Einbeck eine neue Heimat gefunden. Sie haben Einbeck mit aufgebaut. Sie sind ein prägender Teil Einbecker Geschichte. Sie sind der Grund, warum in Einbeck und nicht anderswo ihr Archiv die deutsche Geschichte des heute polnischen Paczków – seit 1992 Einbecks Partnerstadt  – lebendig halten kann. Die Erlebnisgeneration, die von damals erzählen kann, stirbt aus. Ich möchte mich dem Wunsch der Einbecker Bürgermeisterin anschließen: Dr. Sabine Michalek wünscht sich, dass das öffentlich für Recherche und Forschung zugängliche Material intensiv genutzt wird, gerade von der Enkelgeneration; sie zeige ein verstärktes Interesse und bekomme beispielsweise über die eigene Familiengeschichte oftmals einen leichteren Zugang zu diesem Stück der Zeitgeschichte.

Die Magazin-Räume selbst sah sich Doris Schröder-Köpf (links) nicht an, wohl aber mit Bürgermeisterin und Museumsleiterin die Ausstellung "Angekommen".
Die Magazin-Räume selbst sah sich Doris Schröder-Köpf (links) nicht an, wohl aber mit Bürgermeisterin und Museumsleiterin die Ausstellung „Angekommen“.

Bedauerlicherweise hatte die zur Einweihung der Magazin-Räume mit dem Zug angereiste Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Doris Schröder-Köpf, nach den Festreden im Alten Rathaus (hier ein Video von der Veranstaltung) nicht mehr die Zeit, sich die zwei Magazin-Räume auch persönlich anzusehen, wegen der sie nach Einbeck gekommen war. Aber die seit drei Jahren im Stadtmuseum zu sehende Ausstellung „Angekommen“, die ein Oberstufen-Kurs der Goetheschule Einbeck erstellt hat, konnte die Landesbeauftragte wenigstens noch teilweise betrachten. Ihr Lob, dass mit der Ausstellung die Heimatsammlung der Patschkauer nicht 1946 mit der Vertreibung und der Ankunft in Einbeck endet, hat dann doch noch Gewicht.

Tags zuvor hatte der frühere Einbecker Bürgermeister Martin Wehner beim Festakt zur seit 60 Jahren bestehenden Partnerschaft mit den heimatvertriebenen Patschkauern seine Rede mit einem beeindruckenden verbalen Brückenschlag beendet, der alles beantwortet, was zum Thema Versöhnung zu sagen ist. Wie Altbürgermeister Ulrich Minkner und Museumsleiterin Dr. Elke Heege wurde Wehner vom Vorsitzenden des Heimatvereins Patschkau und Umgebung, Leo Schiller, die höchste Auszeichnung verliehen, die silberne Dohle. Martin Wehner sagte:

1992 war ich das erste Mal in Patschkau, das erste Mal in Schlesien, das erste Mal im ehemaligen Ostdeutschland. Wir waren mit dem Zug unterwegs. Auf der Rückreise fuhren wir abends von Oppeln über Breslau und Grünberg Richtung Frankfurt/Oder und Berlin. Es war ein wunderschöner Tag, die Sonne ging gerade unter. Ich stellte mich allein auf den Gang des D-Zugwagens und schaute aus dem Fenster. Die weite schlesische Landschaft zog vorüber, kleine Dörfer, Städtchen, so wie Patschkau , in das ich mich auf Anhieb verliebt hatte, und immer wieder Weite. Ich hatte Tränen in den Augen – und ich schäme mich dafür nicht. „Mein Gott, was für ein herrliches Land, was für eine schöne Stadt, die wir hier verloren, verspielt haben“. Es waren Tränen der Trauer, zugleich Tränen der Wut. Nicht auf die Polen, sondern auf diejenigen Deutschen, für die Eroberungskriege herrlich waren. Je länger wir fuhren und ich diese wunderbare Landschaft betrachtete, verwandelte sich dies Gefühl in eine vage Hoffnung, dass bald in einem vereinten Europa Grenzen und Sprachen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen würden. Heute, 22 Jahre später, sind wir diesem großartigen Ziel ein ganzes Stück näher gekommen. Lassen sie uns diesen Weg, trotz aller Anfeindungen, gemeinsam weitergehen.

Die 1992 besiegelte neue Partnerschaft Einbecks zum heute polnischen Paczków soll die 1954 abgeschlossene Patenschaft mit den heimatvertriebenen Patschkauern ergänzen, sie soll den ehemaligen Patschkauern neue Türen zu ihrer alten Heimatstadt öffnen, wie es Wehner formuliert hat. Auch die Heimatsammlung, die jetzt in Einbecks Museums lagert, kann hier einen wichtigen Beitrag zur Versöhnung leisten. Noch einmal möchte ich Martin Wehner zitieren:

Vertreibung: ein Wort, dass sich so leicht ausspricht für Menschen, die es nicht erlebt haben. Für die Erlebnisgeneration ist es so ziemlich das Grauenvollste. Ich habe immer wieder versucht, mir diese Situation „Vertreibung aus der Heimat“ vorzustellen. Vorzustellen, dass es nicht in Patschkau, sondern in Einbeck passiert wäre. Oder noch schlimmer, dass es heute passieren würde. Da steht einer vor dir, mit der MP im Anschlag, und sagt: „In einer halben Stunde raus. Nur ein Köfferchen.“ Und dann die unsagbare Trauer: Verlust der Geborgenheit, der Wohnung, des Hauses, der Heimat, der Freunde, der Familie.