
Da hat heute Gewerkschaftsboss Manfred Zaffke ordentlich hingelangt: Unangekündigt trat der Bevollmächtigte der IG Metall in Northeim bei der Einbecker Maikundgebung auf dem Möncheplatz an das Rednerpult – und legte vor knapp 200 Zuhörern los, dass einem fast der Stift aus der Hand fiel. Dieser öffentliche Auftritt, da kann man sicher sein, wahr wohl kalkuliert. Er sollte Wirkung haben, bis in die Politik hinein. Alle Versuche, die Sache innerbetrieblich zu klären, seien gescheitert, erklärte Manfred Zaffke. Die Anwälte seien eingeschaltet. Denn: Beim Einbecker Kettenproduzenten Renold sollen der Betriebsratsvorsitzende Achim Wenzig und ein weiteres Mitglied der Arbeitnehmervertretung von der Geschäftsführung sechs Wochen lang „systematisch bespitzelt“ worden sein, sagte Zaffke. Der Gewerkschafter sagte der „menschenverachtende Strategie“, jemanden mürbe zu machen, mit seinen heutigen Aussagen den öffentlichen Kampf an. Den beiden Betriebsräten wird laut IG Metall vorgeworfen, geraucht statt gearbeitet zu haben. Das sollen schriftliche Aufzeichnungen und auch Videoaufnahmen belegen. Zaffke bezeichnete die Vorwürfe als „lächerlich“ und „eine Unverschämtheit“. Man könne sie widerlegen. Betriebsratsarbeit funktioniere nicht mit der Stechuhr. Zaffke vermutet hinter dem spätestens seit der jüngsten Tarifrunde im Februar 2015 schwelenden Konflikt Absicht, am „lebenden Denkmal“ Achim Wenzig zu kratzen, der sich seit Jahrzehnten für die Arbeitnehmerrechte stark mache.
Die Geschäftsführung von Renold verfolge vermutlich den „perfiden, hinterhältigen Ansatz“, ein Exempel zu statuieren, erklärte der Gewerkschafter. Dabei habe gerade der Betriebsratsvorsitzende Achim Wenzig vor etwa zwei Jahren wesentlich mit dafür gesorgt, dass eine Vereinbarung zur Zukunftssicherung zustande gekommen sei, die fünf Jahre gelte. Damals sei die Geschäftsführung dafür noch höchst dankbar gewesen, umso mehr sei das aktuelle Vorgehen ein Schlag ins Gesicht. Warum die Geschäftsführung den für den Standort und die Arbeitsplätze wichtigen Konsens von damals jetzt riskiere, „ist mir völlig schleierhaft“, sagte der IG-Metall-Bevollmächtigte bei der Maikundgebung in Einbeck, an der auch zahlreiche Politiker vor allem der SPD teilnahmen, unter ihnen der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Wilhelm Priesmeier (Markoldendorf). Er werde den Renold-Konzern fragen, ob dieser alles, was am Standort Einbeck-Juliusmühle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern gemeinsam aufgebaut worden sei, riskieren wolle „wegen einem Durchgeknallten“, wurde Zaffke griffig.
Einer fristlosen Entlassung der Betriebsräte habe das Gremium einstimmig widersprochen, sagte der IG-Metall-Bevollmächtigte, für den 15. Juni sei ein erster Arbeitsgericht-Termin in Göttingen anberaumt. Er kündigte „große Begleitmusik“ für diesen Tag an, bundesweit werde die IG Metall mobilisieren. Die Vorgehensweise der Firma Renold sei ein Angriff auf Gewerkschaftsrechte, der nicht unwidersprochen durchkommen dürfe. „Man spürt, wie aufgebracht die Belegschaft ist, wie mit ihren Vertretern umgegangen wird“, sagte Manfred Zaffke. Für kommende Woche ist nach seinen Worten bei Renold eine Betriebsversammlung zu dem Thema terminiert. Die IG Metall hat bei dem 400-Mitarbeiter-Unternehmen im Ortsteil Juliusmühle nach eigenen Angaben einen Organisationsgrad von 90 Prozent.
Aktualisiert 06.05.2015: Eine schriftlich per E-Mail am 1. Mai angefragte Stellungnahme der Firma Renold zu den Vorwürfen liegt bis dato unverändert nicht vor. Auch telefonisch war die Geschäftsleitung bislang nicht für eine Stellungnahme erreichbar.
Nachtrag 11.05.2015: Ich habe bislang unverändert keine Antwort auf meine Anfrage vom 1. Mai 2015 erhalten. Der NDR hatte offenbar mehr Erfolg: Wie der Sender heute berichtet (unter anderem auch online), habe die Geschäftsführung die Vorwürfe ohne Einzelheiten zu nennen zurück gewiesen.
Die IG Metall Niedersachsen hat heute mit einer Pressemitteilung ihre Vorwürfe erneuert: Offensichtlich seien die Betriebsräte bei Beratungsgesprächen mit Beschäftigten auf dem Außengelände des Unternehmens überwacht worden. Die illegal beschafften Video-Aufnahmen würden von der Geschäftsführung genutzt, um den Betriebsräten Arbeitszeitbetrug vorzuwerfen, da im Rahmen der Gespräche geraucht worden sei. Dem Antrag auf fristlose Kündigung der Betriebsräte habe das Betriebsratsgremium zweimal widersprochen. Daraufhin sei von Seiten der Geschäftsführung Klage beim Arbeitsgericht eingereicht worden. IG-Metall-Bevollmächtigter Manfred Zaffke in der Presseinfo: „Noch ist Zeit die eingereichte Klage beim Arbeitsgericht zurückzuziehen, sollte die Unternehmensseite aber nicht einlenken, wird es massive Proteste geben. Wer Betriebsräte bespitzelt und mobbt, bekommt es mit der gesamten Renold-Belegschaft zu tun, die nahezu komplett in der IG Metall organisiert ist.“
Heute hat sich außerdem die Einbecker SPD zu dem Thema geäußert: Die öffentlich genannten Gründe seien für die Sozialdemokraten nicht nachvollziehbar, heißt es in einer Pressemitteilung (Wortlaut: PM SPD Einbeck Renold-Betriebsrat 110515). Die Einbecker SPD stelle sich hinter Achim Wenzig sowie allen dort engagierten Kollegen bei dem Engagement in der Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit. Betriebliche Mitbestimmung sei eine wesentliche Voraussetzung für gute Arbeit und sichere Beschäftigung.
Nachtrag 20.05.2015: Mit wenigen dürren Worten einer schriftlichen Pressemitteilung (Wortlaut: 2015-05-19_Renold) scheint der so wortreich öffentlich begonnene Streit beendet: Laut der Mitteilung der IG Metall von heute konnte der Konflikt „einvernehmlich beigelegt“ werden. Die angestrebten Verfahren vor dem Arbeitsgericht Göttingen seien zurückgezogen worden, heißt es in der Mitteilung. Unternehmensseite und Betriebsrat seien sich einig, dass sie zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zurück kehren wollten. Die IG Metall begrüßt es, dass beide Seiten gemeinsam eine Lösung des Konflikts erzielen konnten, ohne die Gerichte bemühen zu müssen, teilte die Gewerkschaft mit.