Wenn der Weg am Waldesrand zum Sinnbild wird

Im Wald wachsen Bäume. Viele Bäume. Verschiedene Bäume. Einige werden groß und stämmig. Andere werden zwar groß, sind aber weniger standfest. Bevor diese nun umfallen und zur Gefahr werden können, werden sie abgeholzt. Nicht einfach so und spontan, sondern wohlüberlegt und nach den aktuellen Regeln der Forstwirtschaft, die immer eine Balance finden muss zwischen Wirtschafts-, Erholungs- und Naturwald. 38 Bäume hat die Stadt Einbeck jetzt am Waldrand nördlich des Kleinen Weidenfeldes gefällt. Einige nennen den Weg am Waldesrand mit herrlichem Blick auf Einbeck „Verlobungsweg“ (weil einige ihre liebenden Herzen und Buchstaben in Buchenrinden geschnitzt haben). In der öffentlichen, politischen Diskussion ist dieser „Verlobungsweg“ in den vergangenen Wochen zum Sinnbild geworden, wie offenbar Debatten heutzutage geführt werden: Nicht mehr sachlich Argumente austauschend und andere Haltungen und Entscheidungen respektierend, sondern sofort emotional, persönlich und dem Gegenüber unmittelbar Unredlichkeit und finstere Absichten unterstellend. Dabei ist die Stadt Einbeck als Eigentümerin des Waldes, um den es hier geht, und die gewählten und dafür angestellten Menschen in der Stadt als Treuhänderin für uns alle aktiv. Natürlich gehört ihnen auf die Finger geschaut, aber doch mit Augenmaß. Der Wald gehört uns allen, die wir in Einbeck leben und Steuern zahlen. Warum sollten einige ihn unnötig und radikal abholzen?

Stadtförster Jonas Fürchtenicht, Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek und Fachbereichsleiter Joachim Mertens (v.r.) am „Verlobungsweg“.

Was ist davon zu halten, wenn einige meinen, vor den angekündigten Fällmaßnahmen neue Bäume mit einem frischen weißen Kreuz markieren zu müssen – dem vor Jahren schon genutzten Symbol für einen so genannten Habitatbaum? Dass Forstmitarbeiter das nicht erkennen? Habitatbäume sind liegende oder stehende tote Bäume, die Heimat für verschiedene Arten sein können, für Käfer oder Schwämme beispielsweise. Habitatbäume, und solche hatte der einstige Stadtförster bereits vor Jahren markiert, werden aus der Bewirtschaftung herausgenommen und sollen auf natürliche Weise absterben, dabei aber noch unterschiedlichen Arten eine Lebensgrundlage bieten. Sobald sie jedoch zur Gefahr werden können, weil sie beipielsweise auf den Waldweg stürzen könnten, gilt es zu handeln – im Sinne der Gefahrenabwehr und Verkehrssicherheitspflicht, wie das behördlich heißt.

Stadtförster Jonas Fürchtenicht, der jetzt Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek und Fachbereichsleiter Joachim die Ergebnisse der Maßnahme vor Ort zeigte, berichtete von absolut unvernünftigen Waldbesuchern, die während der Fällungen Absperrungen missachtet hätten („Ich passe schon auf“ und „Ich gehe hier jeden Tag lang“), was nicht nur für Forstmitarbeiter und Waldbesucher gefährlich ist, sondern für diejenige, der eine Absperrung ignorieren, eine Ordnungswidrigkeit nach sich ziehen kann.

Förster Fürchtenicht zeigt der Bürgermeisterin und dem Fachbereichsleiter, welche Schäden die Bäume haben, die gefällt wurden.

Trockene Sommer und Sonnenbrand haben vor allem der Buche zugesetzt. Bei 38 Bäumen war schließlich keine Standfestigkeit mehr gegeben. „Diese Bäume sind einfach gefährlich gewesen“, sagt Stadtförster Jonas Fürchtenicht. Seit dem vergangenen Sommer habe man die Maßnahme vorbereitet und letztlich jetzt durchgeführt. Im Wald gibt es immer einen Zustand von Entstehen und Vergehen, sagt der Forstfachmann und zeigt am Waldrand einen Bereich, in dem schon vor einigen Jahren durch Naturverjüngung und Lichtsteuerung dafür gesorgt wurde, dass Bergahorn oder Esche genug Licht zum Nachwachsen haben. Waldbesitzer denken zwar nicht für die Ewigkeit, aber auch nicht nur für den kurzen Moment.

Der nicht-öffentlich tagende Verwaltungsausschuss des Einbecker Stadtrates hatte sich nach eigenem Bekunden mehrfach und intensiv mit der Thematik am „Verlobungsweg“ beschäftigt. Jeder einzelne der zu fällenden 38 Bäume war erfasst, markiert, fotografiert und analysiert worden. Die mehr als 50-seitige Zusammenfassung war Grundlage der einstimmigen Entscheidung, die bereits abgestorbenen, beschädigten oder kranken Bäume zu entnehmen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der SPD, CDU, FDP und Grünen im Einbecker Stadtrat. Mit Neuanpflanzungen werde für eine Kompensation gesorgt. „Das Leben bedeutet auch den natürlichen Kreislauf der Dinge. Würden einzelne kranke oder tote Bäume mitten im Bestand zu finden sein, so wäre ein Verbleib eher vertretbar und ökologisch oftmals auch wertvoll. Ganz anders verhält es sich, wenn die trockenen Bäume direkt an einem stark frequentierten Spazierweg stehen. Hier sind Politik und Verwaltung als Vertretung des Eigentümers gemeinsam in der Verantwortung und auch Pflicht, mögliche Gefahren zu beseitigen und zu minimieren“, heißt es in der Erklärung der Ratspolitiker. SPD, CDU, FDP und Grüne weisen darauf hin, dass im Stadtwald bereits seit Jahren ein Teil der Flächen als Erholungswald deklariert sei, hier spielten wirtschaftliche Überlegungen eine deutlich untergeordnete Rolle. Mit dem „Märchenwald“ seien zudem fast 40 Hektar komplett aus der Nutzung genommen worden.

Die Baumstämme werden als Tot- und Habitatholz so im Waldgebiet belassen.
Habitatbäume können auch stehen bleiben, aber nur wenn von ihnen keine Gefahr ausgeht.
Für den Laien ersichtlich, dass dieser Baum nicht mehr gesund war.