Konzepte sind eine feine Sache. Sie bieten oftmals die herrliche Gelegenheit, einmal gänzlich befreit von den Zwängen des Faktischen seine Ideen und Gedanken zu Papier zu bringen. Und weil das so wunderschön ist, gibt es auch eine ganze Reihe von Konzepten. Manche meinen, dass die Schubladen, aus denen die vielen Konzepte gezogen werden könnten, so klemmen wie die öffentlichen Kassen. Die meisten Konzepte bleiben in der Schublade. Einbeck hat eine 150.000-Euro-Förderung im Programm „Zukunftsräume Niedersachsen“ bekommen, einer von drei Bausteinen von „Einbeck macht (sich) fit“ ist neben dem neuen Fahrradparkhaus, das in der Knochenhauerstraße entsteht, ein Konzept. Ein so genanntes Nahmobilitätskonzept. Für knapp 20.000 Euro sind 35 Seiten entstanden: Bestandsaufnahme, Analyse, Empfehlungen. Wo kann die Freundlichkeit der Bedingungen für Radfahrer und Fußgänger verbessert werden? Dazu hat das beauftragte Büro einige Schwachstellen gefunden und Lösungsvorschläge erarbeitet. In den vergangenen Tagen haben der Fachausschuss Bauen und Stadtentwicklung sowie der Verwaltungsausschuss das Nahmobilitätskonzept einmütig beschlossen.

Doch wer denkt, dass all die schönen Ideen und Vorschläge aus dem Papier nun bald Realität werden, der unterschätzt die Funktion von Konzepten. Denn sie landen erstmal in der Schublade. Und erst mit dem nächsten Haushalt besteht vielleicht die Möglichkeit, die eine oder andere Idee umzusetzen. Wenn sie nicht zu teuer ist. Oder wenn sie zu teuer ist, dann nur mit dem nächsten Förderprogramm.
Was steht nun drin im Nahmobilitätskonzept? Konzentrieren wir uns mal auf den Radverkehr. Die Experten empfehlen „baulich von der Fahrbahn abgesetzte Radverkehrsanlagen“, sprich Radwege, entlang der ehemaligen B3-Ortsdurchfahrt, vor allem auf den Abschnitten Altendorfer Tor östlich Rosental, Hullerser Straße westlich Hullerser Mauer und Hullerser Tor/Hannoversche Straße. Mit dieser Empfehlung haben die Fachleute zweifellos Recht, sie dürfte jedoch ebenso zweifellos auch der teuerste Ratschlag in dem Konzept sein. Eine Umsetzung ist nur in Etappen wahrscheinlich.
Bei den Empfehlungen, weitere Einbahnstraßen für den so genannten Zweirichtungsverkehr zu öffnen, wo also Radfahrer entgegengesetzt der Einbahnstraßenrichtung fahren dürfen, kommt der Ortskundige jedoch ins Grübeln. Wer die enge Baustraße, den nicht minder engen Hören oder die Kurze Münsterstraße als Straßen vorschlägt, wo die Radfahrer die Einbahnstraßen in andere Richtung befahren dürfen, hat sicherlich eine Menge Fachverstand, der jedoch offenbar die Ortskenntnisse völlig überlagert. In der Baustraße kommt schon heute gerade so eben ein Auto durch, weil an beiden Seiten geparkt werden darf. Und von einer Änderung der Parksituation steht im Konzept nichts. Auch in der Kurzen Münsterstraße oder im Hören möchte ich als Radfahrer nicht schnell fahrenden Autos begegnen, es ist dort einfach zu eng und gefährlich. Das sieht beispielsweise beim Hören auch die Polizei so, die davon abrät und allenfalls dafür wäre, wenn im Hören Parkplätze verschwinden.
Die extremsten Empfehlungen gibt das Konzept allerdings in dem Absatz, doch einige Strecken als mögliche Fahrradstraßen zu prüfen. „In Fahrradstraßen muss sich der Kfz-Verkehr dem Radverkehr unterordnen“, heißt es in der Expertise. „Dadurch verändert sich die Wahrnehmung des Radverkehrs und stellt diesen stärker in den Mittelpunkt. Die Ausweisung von Fahrradstraßen verdeutlicht das Umdenken in der Verkehrspolitik zu Gunsten der umweltfreundlichen Verkehrsmittel.“ Konkret unterbreiten die Experten, das Ostertor/Neuer Markt in Fahrtrichtung Osten, die Münsterstraße/Stiftstraße in Fahrtrichtung Norden und die Tiedexer Straße in Fahrtrichtung Westen zu Fahrradstraßen zu deklarieren. Die Befahrbarkeit durch den Kfz-Verkehr ist bei solchen Fahrradstraßen weiterhin in einer Fahrtrichtung möglich. „Der ruhende Verkehr muss soweit eingeschränkt werden, dass dem Radverkehr die erforderliche Fahrbahnbreite zur Verfügung gestellt werden kann.“ Das kann nur bedeuten, im Neuen Markt oder in der Tiedexer Straße weitere Parkplätze zu entfernen. Sonst funktioniert der Plan nicht.
Schon heute ist es beispielsweise auf dem Neuen Markt eng, wenn Radfahrer und Auto sich entgegenkommend begegnen auf der Höhe der Einmündungen Kanalstraße oder Hohe Münsterstraße. Weil in einigen Parkbuchten manchmal ziemlich lange Fahrzeuge stehen, die in die Fahrbahn ragen. Dass es hier noch nicht zu mehr als brenzligen Situationen gekommen ist, wundert Menschen, die sich häufig in dieser Stadt bewegen und Erfahrungswissen besitzen. Da braucht kein Spezialist mehr drauf zu schauen.

Im Artikel wird so getan, als ob die Frage, ob eine Einbahnstraße freigegeben wird, eine politische Entscheidung wäre. 2021 wurde die Verwaltungsvorschrift zur StVO geändert. Spätestens seitdem ist das Ermessen der Straßenverkehrsbehörden beim dem Thema stark eingeschränkt. Einbahnstraßen sollen stets freigegeben werden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Alle Studien der Unfallforschung zeigen, dass die Freigabe um so sicher ist, je enger es zugeht. Dann ist nämlich offensichtlich, dass man sich beim Begegnen verständigen muss. Schon 2009 wurde daher die Mindestbreite von 3,00 m für die Freigabe von Einbahnstraßen aus den Vorschriften gestrichen. Da eine Nicht-Einbahnstraßenfreigabe eine Beschränkung des fließenden Radverkehrs ist, ist stets § 45, Absatz 9, Satz 3 als Kriterium anzulegen. Man kann also eine Einbahnstraße nicht deshalb nicht freigeben, weil dort geparkt wird, sondern wenn dadurch Gefahren entstehen, dann muss der ruhende Verkehr eingeschränkt werden. Entsprechend sind in anderen Kommunen über 90% der Einbahnstraßen längst freigegeben. Einbeck ist hier 20 Jahre hinterher. Gut, dass die Gutachter das erkannt haben.