Über Verantwortung

Die Zeiten werden hektischer. Früher gab es Redaktionsschlüsse, für gedruckte Zeitungen und Zeitschriften gibt es sie immer noch. Aber im Online-Journalismus existiert offenbar keine Pause. Immer schneller, immer schneller werden Nachrichten verbreitet. Immer öfter. Eilmeldungen erreichen uns auf unseren Smartphones, sie laufen über die TV-Bildschirme, während wir den spannenden Krimi sehen. Immer schneller. Immer öfter. Wir wollen ja informiert sein. Immer. Jederzeit. Überall.

Die Zeiten werden hektischer. In dieser Woche blamierten sich renommierte Online-Portale noch ehrwürdigerer Medienmarken mit vorschnellen Eilmeldungen zu einem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Jeder wollte der erste sein, der die Nachricht verkündet. Doch dafür muss die Nachricht erst einmal auf dem Markt sein, muss das Urteil erst einmal gesprochen werden. Und ein Urteil in Karlsruhe beginnt, wenn die Richter in ihren roten Roben stehen, ihre Mützen auf dem Kopf haben und der Vorsitzende Richter mit den Worten beginnt: „Im Namen des Volkes.“ Was er vorher sagt, ist kein Urteil, es sind Formalien. Das sollten Journalisten wissen. Vor allem jene, die aus Karlsruhe berichten.

Was damit die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen die Einbecker Bürgermeisterin und den Bauamtsleiter zu tun haben? Imgrunde nichts. Und doch eine ganze Menge. Es geht um Verantwortung. Und zwar auch um journalistische Verantwortung. Pressemitteilungen unbearbeitet per Copy-and-paste in die Redaktionssysteme kopieren können viele. Das aber ist kein Journalismus. Der zeigt sich erst, wenn es darum geht, wie er mit Verantwortung bei Vorwürfen umgeht, die – wie in diesem Fall – gegen eine Bürgermeisterin und Verantwortliche in ihrem Rathaus erhoben werden. Es gilt, einen Moment zu überlegen und zu prüfen: Wann berichten? Auf Grundlage einer, noch dazu, anonymen Anzeige? Nein! Berichten dann, sobald die Staatsanwaltschaft schon mal vorermittelt und noch recherchiert? Nein! Erst dann berichten, wenn die Behörde ein formelles Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Ja! Denn dann sieht sie einen Anfangsverdacht. Der freilich, wie im Fall der Ermittlungen gegen Bürgermeisterin und Bauamtsleiter, auch schnell wieder ausgeräumt werden kann. Journalisten haben die Aufgabe zu berichten, was ist und keine Nachrichten zu unterdrücken. Es müssen allerdings erstmal Nachrichten sein.

Es ist legitim, während eines Ermittlungsverfahrens zu berichten. Noch dazu, wenn es um mutmaßliche Versäumnisse einer Behörde, der Stadtverwaltung, geht. Bei allem gilt die Unschuldsvermutung. Die gilt übrigens bis zu einem Urteil. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil.

Be first, but first be right. So lautet eine alte Journalistenregel. Sie besagt nicht, dass man nur das Richtige berichten dürfte. Jeder kann sich schließlich einmal irren und Fehler machen. Auch Journalisten. Aber sie müssen sich nach menschlichem Ermessen und allen Regeln des Journalistenhandwerks sicher sein, dass sie richtig liegen, wenn sie etwas veröffentlichen.

Ein Kommentar zu „Über Verantwortung

  1. So wie sich die Sache darstellt, wäre aus meiner Sicht gar kein Bericht nötig gewesen. Deshalb sollte journalistisch erst dann berichtet werden, wenn es auch etwas zu berichten gibt. Nicht Mutmassungen, sondern Fakten sind berichtenswert, auch wenn es dann ein wenig länger dauert bis der Journalismus greift. Journalismus ist Arbeit und damit eine Arbeit gelingt, braucht es neben dem geeigneten Handwerkszeug noch Zeit und davon nicht zu wenig. Mit Oberflächlichkeiten werden wir oft leider viel zu häufig belästigt und das behindert eine fundierte eigene Meinungsbildung. Deshalb weiter so Herr Bertram.

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