Warum die geschenkte Skulptur still steht

Skulptur „Von Null bis unendlich“, jetzt mit vier Pfosten. Zurzeit dreht sie sich nicht.

Warum dreht sich die erst Mitte Dezember eingeweihte Skulptur „Von Null bis unendlich“ des Künstlers Timm Ulrichs zurzeit nicht? Das interessiert nicht nur viele Menschen, die an dem Kunstwerk nördlich der Marktkirche fragend vorbei gehen, sondern auch Kommunalpolitiker. Denn der Einbecker Stadtrat hat im September 2017 die Skulptur als Spende in Höhe von 97.000 Euro zur Förderung von Kunst und Kultur einstimmig angenommen und im öffentlichen Raum aufstellen lassen. Bei Zuwendungen im Wert von mehr als 2000 Euro muss der Rat über die Annahme von Spenden entscheiden. In dem bei solchen Zwecken auszufüllenden Formular ist die Spalte „einzugehende Verpflichtung der Stadt (Folgekosten)“ leer geblieben. Welche Kosten entstehen also unter Umständen dem Steuerzahler? Ich habe einmal nachgefragt.

Die notwendige Reparatur wird der Kreis von Förderern tragen, der auch die Skulptur insgesamt bezahlt hat, sagte Günter Dietzek, der Gesamtorganisator des Projektes, auf meine Anfrage. Die Kosten für „Von Null bis unendlich“ in Höhe von knapp 100.000 Euro wurde von der AKB-Stiftung, der Bürgerstiftung Einbeck, der Kultur- und Denkmalstiftung des Landkreises Northeim und mehreren einzelnen Bürgern finanziert. Ein Lkw war vor Wochen gegen die Skulptur gefahren und hatte diese beschädigt. Zwischenzeitlich lief der unterirdische Motor zwar wieder. Bei einer Diagnose haben sich jedoch umfangreichere Schäden herausgestellt als zunächst vermutet. Deshalb habe man sich auch entschlossen, den Skulptur-Motor nicht mehr laufen zu lassen bis der Schaden endgültig beseitigt sei, sagte Dietzek. Einen Zeitpunkt, wann „Von Null bis unendlich“ wieder laufen werde, könne man derzeit nicht nennen. Ohne Zeitdruck solle alles repariert werden, was notwendig sei – die Unwuchten beseitigt, Zahnräder repariert werden. Das erledigt die Werkstatt von Axel Rößling aus Berlin, die auch die Skulptur gefertigt hat, auch der TÜV werde wieder eingebunden. Wenn das alles abgeschlossen sei, werde es eine technische Übergabe der Skulptur an die Stadt Einbeck geben, sagte Fachbereichsleiter Joachim Mertens. Die in Zukunft aus dem städtischen Haushalt zu tragenden Betriebskosten beziffert die Stadt auf rund 250 Euro pro Jahr, dabei handelt es sich um die Stromkosten (für den Motor und die Beleuchtung) und die jährliche Wartung des Motors (Schmierung).

Das eigentlich kontinuierlich sich bewegende, gebogene rote Edelstahlrohr steht nach dem Unfall mit einem Lkw vor einigen Wochen still: Das Fahrzeug war rückwärts gegen die Skulptur in der Fußgängerzone gefahren und hatte diese massiv beschädigt, unter anderem auch die Zahnräder des unterirdischen Motors aus den Lagern verschoben. Zum Schutz vor weiteren Lkw-Konflikten im Lieferverkehr der Fußgängerzone hat die Stadt Einbeck jetzt vier Pfosten rund um die Skulptur aufgestellt. Rund 150 Euro habe das die Stadt gekostet, sagte Tiefbauamtsleiter Thomas Kreykenbohm, die Pfosten seien noch beim Bauhof vorhanden gewesen.

Der dritte und letzte Baum ist inzwischen komplett entfernt; hier steht nur noch der Baumrest. Archivfoto.

Der Unfallfahrer hat sich übrigens damals um den Schaden nicht gekümmert, sondern ist davon gefahren. Zwar haben Zeugen den Vorfall beobachtet und sich auch den Namen der Firma gemerkt, für die der Lkw unterwegs ist, sagte Dietzek. Das Kfz-Kennzeichen haben sich die Zeugen hingegen nicht gemerkt, eine genaue Identifizierung sei deshalb schwierig. Die Stadt Einbeck hat Strafanzeige gestellt. Ermittelt wird wegen Unfallflucht.

Weil bei einer Anleiterübung der Feuerwehr mit der Drehleiter nach Aufstellung der Skulptur klar geworden sei, dass es dort zu eng sei, habe die Stadt aus Gründen des Brandschutzes den verbliebenen dritten Baum auf eigene Kosten entfernt und das Straßenpflaster angeglichen, sagte Kreykenbohm.

Hintergrund:

Zu Füßen der Einbecker Marktkirche St. Jacobi steht seit Dezember 2018 die Skulptur von Timm Ulrichs. „Von Null bis unendlich“ heißt das Kunstwerk des 78-Jährigen, der sich seit 1959 als „Totalkünstler“ bezeichnet und unter anderem 1977 bei der Documenta ausgestellt hat. Timm Ulrichs zählt die Skulptur, die auf eine Installationsidee aus dem Jahr 1986 zurück geht, zu seinen zehn wichtigsten Arbeiten. Als Konzept-Künstler stammt von Ulrichs der Entwurf, die handwerkliche Ausführung haben andere übernommen. 19 Schülerinnen und Schüler der Goetheschule Einbeck und der Paul-Gerhardt-Schule Dassel konnten dank der Zukunftsstiftung Jugend, Umwelt und Kultur die Entstehung im Austausch mit dem Künstler seit dem Jahr 2015 begleiten.

Ein sich bewegendes, gebogenes Edelstahlrohr formt das Unendlichkeitszeichen, die liegende Acht, und verwandelt sich dann in eine Null. Je nach Standort steht der Betrachter entweder dem Nichts oder der Unendlichkeit gegenüber. Ein im Boden eingelassener Motor hält die Skulptur mit 0,7 Umdrehungen pro Minute von 9 bis 21 Uhr langsam, permanent in Bewegung und lässt aus dem Nichts die Unendlichkeit und aus der Unendlichkeit das Nichts immer wieder von Neuem entstehen.

„Diese Skulptur ist die einzige, von der ich annehme, dass sie gewinnt, wenn man weiter weg geht“, appelliert Timm Ulrichs zum Abstand. „Je dichter man dran ist, desto weniger erkennt man das Prinzip.“ Von zwei Beobachtungspunkten vor der Ratsapotheke und am Parkplatz Breil/Pastorenstraße formen sich Null und Acht am Deutlichsten. Bei „Von Null und unendlich“ heben sich laut Ulrichs die scheinbaren Gegensätze auf. „Die Null ist auch der Keim, aus dem etwas sprießen kann, aus dem Nichts wird quasi alles.“ Die grazil-dünne Skulptur sei „eine Denkfigur, die gar nicht so viel optisch hergibt, sondern sich mehr im Kopf abspielt“. Sie solle zu Zweifel, Neugier und Phantasie anstoßen, wünscht sich Ulrichs.

„Passgenaue Kunst für Einbeck“ stecke hinter der Projektidee, deren Umsetzung vier Jahre gebraucht habe, hatte Dietzek bei der Einweihung im Dezember 2018 gesagt, 2014 war mit „Mobilität“ von Hans-Oiseau Kalkmann vor dem PS-Speicher das erste Kunstwerk dazu entstanden. Immer gehe es auch darum, Jugendliche an der Realisierung der Kunst zu beteiligen. Die neue Skulptur „Von Null bis unendlich“ von Timm Ulrichs symbolisiere den Markenkern der Stadt, deshalb passe das „mutige, moderne Kunstwerk“ gut zu Einbeck. Dietzek: „Einbeck hat eine unverwechselbare Tradition und eine lebendige Zukunft“. Die Skulptur stehe auf der Nordseite der Marktkirche, weil diese 1327 erstmals sicher erwähnt und quasi ein Fundament der Stadt sei. Günter Dietzek dankte den politischen Entscheidungsträgern für den Mut, die Schenkung anzunehmen. Passt die Skulptur zu Einbeck? Das sei er gefragt worden, sagte Timm Ulrichs. „Passt denn Einbeck zu meiner Skulptur?“ habe er da geantwortet, passe beispielsweise der schiefe Turm zu Pisa? „Der Platz gewinnt durch die Skulptur und die Skulptur gewinnt durch den Platz, so gratulieren sich beide.“

Timm Ulrichs, 1940 in Berlin geboren, studierte Architektur an der Technischen Hochschule Hannover.  Als „Totalkünstler“ hat Ulrichs die „Werbezentrale für Totalkunst, Banalismus und Extemporismus“ gegründet. 1961 erklärte er sich zum „Ersten lebenden Kunstwerk“. Ulrichs war von 1969 bis 2005 Professor für Bildhauerei und Totalkunst in Braunschweig und Münster. 1977 war er Teilnehmer der Documenta 6 in Kassel. Große Einzelschauen fanden 1984 in Ludwigshafen, 1991 in Madrid und Recklinghausen, 1994 in Budapest, 2001 in Antwerpen (Plastik und Skulpturen) sowie 2002 in Hannover (Druckgrafik) statt.  2010 widmeten das Sprengel Museum und der Kunstverein Hannover dem Pionier der Konzeptkunst eine große Retrospektive unter dem Titel „Betreten der Ausstellung verboten!“.

Bei der Eröffnung am 19. Dezember 2018: Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek mit dem Künstler Timm Ulrichs und Koordinator Günter Dietzek an der Skulptur. Der Baum an der Ecke stand damals noch.