
Die Begriffe und Abkürzungen schwirrten über zweieinhalb Stunden lang nur so durch den Ratssaal: Maßgabe 7, Variante B 01-3, planungsbegleitender Arbeitskreis, Sichtbarkeitsanalyse, Restriktionsflächenkarte, HGÜ, BImmschG, Schleuderbetonmast, Planfeststellungs- und Raumordnungsverfahren – und vieles mehr. Und diese Worte kamen heute bei der gemeinsamen Sitzung der Fachausschüsse für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt zur geplanten 380-kV-Stromautobahn nicht allein von den Kommunalpolitikern und den Mitarbeitern der Stadtverwaltung. Es gab auch nicht ausschließlich kreative Proteste vor der Tür mit den markanten und mittlerweile bekannten gelben Pfeilen (hier ein Video). In der Einwohnerfragestunde kamen mehrere Sprecher der verschiedenen Bürgerinitiativen zu Wort, gaben ihre massiven Bedenken gegen eine Freileitung ausführlich zu Protokoll. Und zeigten sich sehr sattelfest in der Thematik 380 kV. Da kann ich nur voller Respekt den Hut ziehen, wie viele Stunden sich die Kämpfer gegen die Strommasten da in die nicht einfache Materie eingelesen haben und mittlerweile – nach mehreren Jahren der Diskussion in der Region – mit einem solchen Fachwissen aufwarten können, das teilweise dem von Experten nicht viel nachstehen dürfte. Die jedoch beschäftigen sich beruflich den ganzen Tag mit dem Thema, nicht nur nach Feierabend. Deshalb: Respekt, Bürger!
Und bei der Einbecker Stadtverwaltung, das wurde heute deutlich, rennen die Bürger offene Türen ein. Die Stellungnahme der Stadt, heute noch einmal (nach ersten Ratsbeschlüssen im Jahr 2010) durch ein einstimmiges Votum der beiden Fachausschüsse bestätigt, ist eindeutig: Einbeck ist gegen eine Freileitung der 380-kV-Stromtrasse, möchte eine Erdverkabelung in HGÜ-Technik (Hochspannungs-Gleichstromübertragungs-Technik) erreichen. Eine Freileitung mit meterhohen Strommasten mindere die Lebensqualtität, störe das Landschaftsbild erheblich, einige Ortschaften seien nach den aktuellsten Plänen der geplanten Freileitung (nördlich von Einbeck von Bad Gandersheim kommend über Erzhausen, Naensen und dann westlich an Einbeck vorbei in Richtung Süden) sozusagen umzingelt. Um die vorgeschriebenen Mindestabstände zur Wohnbebauung einzuhalten, entstehe eine Zickzack-Strecke, die unterm Strich einen noch größeren Eingriff in die Landschaft bedeute. Auch den für die Kommune so wichtigen (Rad-)Tourismus sieht die Stadt Einbeck durch eine Freileitung erheblich gefährdet, ebenso beispielsweise Pläne eines Verladeplatzes Schiene-Straße der Ilmebahn GmbH am westlichen Stadtrand, wenn dieser durch eine 380-kV-Stromleitung überspannt wird.
Eine spätere Klage behält sich die Stadt ausdrücklich vor, sagte heute Baudirektor Gerald Strohmeier. Und die Stadt sitzt der Firma Tennet im Nacken, die die Stromautobahn bauen will. Fordert immer wieder aktuelle Unterlagen an, um die sich verändernden Pläne und Trassenvarianten fachlich beurteilen zu können. Die Verwaltung fordert eine frühzeitigere Beteiligung der Kommune in dem wahrscheinlich ab Januar 2014 anstehenden Planfeststellungsverfahren und vor allem eine Verlängerung der Einspruchsfrist, die nur vier Wochen beträgt. Neben der Stadt Einbeck haben die Landkreise Northeim und Hildesheim, die Städte Bad Gandersheim, Northeim, Moringen und Hardegsen, die Gemeinde Holle sowie die Samtgemeinden Baddeckenstedt, Lamspringe und Freden über ihren gemeinsamen Rechtsanwalt Dr. Christian von Waldthausen (Hannover) eine Fristverlängerung auf drei Monate gefordert.
Die Stadtverwaltung will mit den Bürgerinitiativen weiterhin in einem intensiven Austausch bleiben, um möglichst umfangreiche, stichhaltige Argumente im späteren Planfeststellungsverfahren anführen zu können. Strohmeier versicherte den Bürgerinitiativen und Vereinen (BI „Auf dem Berge“, BI Pro Erdkabel Einbeck, BI Pro Erdkabel Bad Gandersheim/ Kreiensen, BI „Erzhausen unter Strom“, BI „Keine (Mega)Masten zwischen Hils und Selter“, BI Brunsen/ Holtershausen, Verein Bürger Pro Erdkabel Harzvorland e.V.), dass alle Argumente im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens in die Bewertung einbezogen würden.
Mehr „Druck auf dem Kessel“ wünscht sich Reinhard Brinckmann (Bürgerliste/GfE), die Firma Tennet müsse den Widerstand spüren. Auch Rolf Hojnatzki (SPD) findet es „nicht akzeptabel“ bei einem solchen Großprojekt, dass Tennet nicht offen und transparent seine Pläne und Streckenvarianten offenlege und diskutieren lasse. Es sei keine Frage mehr, ob, sondern nur noch wo und eventuell wie die Stromleitung durch die Region führen werde, schätzte Dirk Ebrecht (CDU) ein.