Neustädter Kirchplatz: Warten auf den Gutachter

(c) Foto: Frank Bertram

Die letzten kurzen Schneeschauer des Winters gehen in diesen ersten Frühlingstagen auf dem Neustädter Kirchplatz nieder, der größten innerstädtischen Baustelle in Einbeck. Der Baustelle ohne Bauarbeiten seit vielen Monaten, die an manchen Stellen eher wie ein großes Baustofflager aussieht. Eigentlich sollten im Winter alle Aufgaben erledigt werden, die vor der Fortsetzung der Arbeiten zu erledigen waren: ein so genanntes selbstständiges Beweisverfahren für den Baugrund, der nicht ordnungsgemäß hergestellt worden war. Eigentlich. Denn passiert ist seit der Vergabe an einen Gutachter durch das Landgericht Göttingen im November: nichts. Nach Ablauf der dreimonatigen Frist habe der beauftragte Gutachter sich für befangen erklärt, sagte heute Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek. Sie hat den Verwaltungsausschuss vergangene Woche über den aktuellen Sachstand informiert. Das Baugrund-Gutachten, das für die Fortsetzung der Bauarbeiten unbedingt erforderlich ist, rückt damit in weite Ferne, wann es vorliegen wird, kann zurzeit niemand genau sagen. „Das ist für uns alle unerquicklich und sehr unbefriedigend“, sagt die Verwaltungschefin. Jeder Tag Stillstand koste Geld.

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Nichts passiert seit Monaten: Baustelle Neustädter Kirchplatz, März 2023.

Der vom Landgericht Göttingen in dem selbstständigen Beweisverfahren für ein möglicherweise folgendes Schadensersatzverfahren beauftragte Gutachter hat sich für befangen erklärt, weil er als Professor an der TU Clausthal arbeitet. Und dort ist seit Jahresbeginn der ehemalige Fachbereichsleiter für Bauen und Stadtentwicklung der Stadtverwaltung Einbeck, Joachim Mertens, Dezernatsleiter der Technischen Verwaltung. Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek sagte, Mertens habe der Stadt versichert, mit dem Gutachter keinen Kontakt gehabt zu haben und den nicht zu kennen. Die Stadt Einbeck hat das geprüft und sieht entsprechend eine Befangenheit nicht für gegeben. Wie das die Gegenseite in dem Beweissicherungsverfahren empfindet, ist der Stadt bislang nicht bekannt, die Frist zur Äußerung sei bereits abgelaufen, sagte Michalek. Die Stadt muss sich in dem Verfahren eines externen Rechtsbeistandes bedienen, weil am Landgericht Anwaltszwang besteht und das nicht einfach so Justiziar Dr. Florian Schröder übernehmen kann. Was alles noch komplexer macht.

Klar ist: Bevor nicht der Sachverständige den Baugrund untersucht hat, um gutachterlich Beweise zu sichern und zu klären, wer dafür verantwortlich ist, dass der Boden nicht ausreichend verdichtet wurde, können auf dem Areal des Neustädter Kirchplatzes keine Arbeiten stattfinden. Auch nicht an anderen Stellen des Platzes. Man habe da alle Möglichkeiten geprüft und wieder verworfen, sagte Sachgebietsleiter Matthias Zaft. Ein Aktionismus nutze nicht, schade eher.

Falls nun auch die Gegenseite eine Befangenheit nicht gegeben sehen sollte, bekommt der Gutachter Zeit für sein Gutachten. Man spreche da eher von Monaten und könne sich nur in Geduld üben und abwarten, sagte die Bürgermeisterin. Ein gänzlich neuer Gutachter ist keine Lösung, die einen Zeitvorteil verschafft, denn unabhängig davon, dass dieser erst vom Landgericht förmlich bestellt werden muss, hat dieser Sachverständige dann die vorgeschriebenen drei Monate Zeit für sein Gutachten. Schlimmstensfalls geht also der Sommer 2023 ins Land, bevor wieder ein Bauarbeiter auf der Fläche zu baggern beginnt.

Das Beweisgutachten ist unbedingt notwendig, um die Fördergelder für den Neustädter Kirchplatz nicht zu gefährden. Es lässt sich auch nicht einfach so darauf verzichten, will man sich später die Möglichkeit einer Schadensersatzklage erhalten. Nach dem abgeschlossenen Beweisverfahren tritt übrigens zunächst der nächste Baugrund-Gutachter auf den Plan, der im Auftrag der Stadt dann unverzüglich einen Sanierungsvorschlag unterbreiten soll, wie der Boden wieder belastbar wird.

Alles, was schief gehen kann, geht auch schief – man fühlt sich beim Neustädter Kirchplatz mittlerweile unwillkürlich an „Murphys Gesetz“ erinnert. Die Baustelle im Herzen der Stadt kommt einfach nicht aus den Schlagzeilen. Zuletzt waren die enormen Kostensteigerungen und die haushalterischen Probleme mit einem Nachtragshaushalt geheilt worden; Verfahren und Abläufe innerhalb der Stadtverwaltung wurden per Dienstanweisungen verändert. Dass bei 6,3 Millionen Euro – die zuletzt genannte Zahl der Gesamtkosten – das Ende der finanziellen Fahnenstange erreicht sein wird, glaubt angesichts aktuell ständig steigender Baupreise niemand. Richtig sparen kann man bekanntlich nicht mehr, da für die meisten Arbeiten bereits die Aufträge erteilt worden sind. Dennoch dürfte nochmal alles auf den Prüfstand kommen, was noch irgendwie einzusparen ist. Und seien es nur die Baumpflanzen.

(c) Foto: Frank Bertram
Touristische Herausforderung: Eine der neuen digitalen Infosäulen steht direkt an der Baustelle des Neustädter Kirchplatzes. Vielleicht lässt sich aber an der Baustelle wenigstens ein Hinweis anbringen, warum auf dieser Baustelle nicht gebaut wird. Das irritiert nicht nur Einbeck-Besucher.

7 Kommentare zu „Neustädter Kirchplatz: Warten auf den Gutachter

  1. Sorry, aber das ist für mich kaum noch nachvollziehbar. Der Gutachter hat fast 3 Monate gebraucht, um seine Befangenheit zu erkennen? Natürlich muss unsere Stadtverwaltung darauf achten, dass nicht noch mehr Steuergelder in den Sand gesetzt werden. Doch gibt es keine Handhabe zur Beschleunigung (oder besser gesagt zur Vermeidung von weiteren Verzögerungen)?

    1. Hallo,

      wenn das Bundeskabinett die „neue Deutschland-Geschwindigkeit“ – in Verbindung etwa mit den Verfahren zur Etablierung von LNG-Terminals oft zitiert – gerne medienwirksam verkündet, muss dieses Schlagwort nicht per se (auch) für die kommunale Ebene bedeutsam sein. Beschleunigungspotenziale sind demnach kaum erkennbar, was städtische Bauvorhaben betrifft. Jetzt wird aber das verfahrensökonomische Prinzip des Anwaltszwangs relevant. Hinter diesem Grundsatz verbirgt sich bekanntlich die Idee, dass die Gerichte imstande sind, ihre Aufgaben effizienter zu erfüllen. Wenn Parteien ohne anwaltliche Vertretung vor Gericht auftreten, kann dies zu einer Reihe von Problemen führen, die Zeit und Ressourcen des Gerichts binden können. Beispielsweise können ungeschulte Parteien die Verfahren verzögern, indem sie formale Fehler machen oder von vornherein vom Gesetz nicht vorgesehene Forderungen stellen. Ein Anwalt kann dagegen die Verfahren effektiver gestalten und dazu beitragen, dass sie schneller abgeschlossen werden. Somit schließt sich der Kreis, was die berechtigte Aussage des Herrn König angeht, weitere Verzögerungen doch tunlichst zu vermeiden. Ein weiterer Vorteil des Anwaltszwangs ist, dass Anwälte in der Regel über fundiertes Wissen und Erfahrung in Bezug auf das Rechtssystem verfügen. Sie sind in der Lage, ihre Klienten umfassend zu beraten, ihre Interessen effektiv zu vertreten und das Verfahren auf zielgerichtete Weise zu führen. Dies kann dazu beitragen, dass die Parteien bessere Resultate erzielen.

      Schließlich kann der Anwaltszwang auch dazu beitragen, dass die Parteien fairer behandelt werden. Wenn eine Partei ohne anwaltliche Vertretung vor Gericht auftreten muss, kann sie einem erfahrenen Anwalt gegenüber benachteiligt sein. Wenn beide Parteien jedoch jeweils von einem Anwalt vertreten werden, sind die Chancen auf eine faire und ausgewogene Verhandlung nicht nur von marginaler Größe.

      Werden die an die Kommune von den Steuerpflichtigen zu leistenden öffentlichen Abgaben (weiterhin) in beträchtlicher Höhe in die Projektfinanzierung einfließen, hat die Stadt ja sicherlich die Möglichkeit, neue Abgabenbelastungen zu statuieren, indem beispielsweise die bislang nicht erhobene Grundsteuer C eingeführt wird. Die Wähler werden es den im Rat vertretenen Parteien bei der Kommunalwahl 2026 danken …

      Viele Grüße

      H. Alisani

  2. Der Neustädter Kirchplatz ist nur das am besten sichtbare Beispiel für die eindrucksvolle Ansammlung von eklatanten Fehlentscheidungen unserer Stadtoberen, die sich unter dem Oberbegriff von Pleiten, Pech und Pannen zusammenfassen lassen. Murphys Gesetz, wonach „alles schief gehen wird, was nur schief gehen kann“ hat im Laufe der Zeit etliche Zusätze bekommen. Die hier am besten passende Erweiterung lautet: „Wenn irgendetwas schief geht, dann geschieht es in der denkbar schädlichsten und teuersten Reihenfolge“. So ist es auch hier. Allerdings fallen (kommunal)politische Entscheidungen ja nicht vom Himmel sondern sind immer das Ergebnis von – wie auch immer entstandenen – Mehrheitsentscheidungen in den Stadträten und Kreistagen. Spätestens seit dem Regierungsantritt der unheiligen Allianz aus SPD und CDU in Einbeck geht es qualitativ und in den Umgangsformen steil bergab. Die auch hier sichtbare enorme Personalfluktuation mit ihren juristischen und finanziellen Folgen sprechen eine mehr als deutliche Sprache.
    Wähler und Wählerinnen, die diesem Treiben nicht entgegentreten, haben schon jetzt verloren!

    1. 👍👍👍👍👍👍👍👍👍Sie haben so recht!!!! Wir schließen uns Ihrer Meinung uneingeschränkt an Grüße Werner & Evelyn Lontke

  3. Mit der Verantwortungslosigkeit muss Schluss sein. Der Rat muss die Sache an sich ziehen. Dieser Schandfleck muss weg! Zur Not muss alles eine Nummer kleiner werden, das spart übrigens Geld. Eine Verdreifachung der Kosten ist inakzeptabel.

    1. Mit Verlaub, Herr Breuker: Was würde sich denn bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen im Rat ändern, wenn diejenigen, die diese Fehlentscheidungen (und deren ebenso luschige Finanzierung) gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt haben, nicht abgelöst würden?? Nach der bekannten „Methode Trump“ wird man doch sehr schnell alle möglichen Ausreden finden, angefangen vom schlechten Wetter über die unvorhersehbaren Folgen der Corona Pandemie, der ewigen Nörgelei der „Leserbriefschreiber“ und so weiter und so fort. Nur sie selber und die verantwortlichen Fachleute in der Stadtverwaltung haben natürlich nichts gesehen, gehört und gewusst. Von der Bürgermeisterin abwärts waschen alle ihre Hände in leutseliger Unschuld und phantasieren über eine tragische Verkettung unglücklicher Umstände. Na also!
      Ich bin der festen Überzeugung, dass sich ohne eine entscheidende Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat und auch in der Verwaltung Einbeck weiter in Richtung „Schilda 2.0“ taumelt.

  4. Es ist nur noch unverständlich. Ich hatte die Bürgermeisterin vor wenigen Wochen angeschrieben zum Thema Neustädter Kirchplatz, weil sich nichts tut. Da klang es noch hofffnungsvoll für 2023. Jetzt dies. Hier müssen bald personelle Konsequenzen folgen. Für mich steht dafür die Bürgermeisterin. Der neue Bauleiter weiss hiervon nichts. Kann man keinen neuen Gutachter bestellen? Dies Befangenheit ist doch ein Scherz.Ich kann nur noch den Kopf schütteln zur Situation und den Kosten. Sorry, einfach stümperhaft.

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