Ein Spaziergang zu Stadtentwicklung und Bauen in Einbeck mit Fachbereichsleiter Jens Ellinghaus

Foto: Frank Bertram

Seit einem halben Jahr ist Jens Ellinghaus Fachbereichsleiter für Stadtentwicklung und Bauen im Einbecker Rathaus. Höchste Zeit also, mit ihm über seine ersten Monate in der neuen Stadt zu sprechen, über aktuelle Baustellen und künftige Projekte. Bei einem ausführlichen Spaziergang durch die Innenstadt besuche ich mit dem 31-Jährigen Neustädter Kirchplatz, Altes Rathaus, Fahrradstraße und noch mehr.

Zunächst aber gehen wir vom Neuen Rathaus zur Goetheschule. Jens Ellinghaus bestimmt die ersten Ziele, das haben wir so vorher vereinbart, und er hat sich bewusst das Gymnasium an der Schützenstraße ausgewählt. Das wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich, ist doch der Schulträger der Goetheschule seit Jahren nicht mehr die Stadt Einbeck, sondern der Landkreis Northeim. Und der Kreistag diskutiert aktuell, wie und wo die Schule räumlich erweitert werden soll, ob es gar einen Neubau an neuem Standort geben soll. Einbecks Verwaltung um den Fachbereichsleiter für Stadtentwicklung und Bauen hat dabei jedoch ein gewichtiges Wort mitzusprechen, denn für welchen Standort auch immer sich die Kreispolitik entscheidet, jeder liegt in einem gültigen Flächennutzungs- oder Bebauungsplan der Stadt Einbeck, der zu berücksichtigen – oder eben zu ändern ist. „Die Stadt hat die Planungshoheit“, sagt Ellinghaus. Der das Stadtbild und das Viertel nördlich der Bahn prägende Goetheschule-Altbau von 1907 erinnert den gebürtigen Osnabrücker an das dortige Ratsgymnasium, das er besucht hat.

Auf dem Heinrich-Keim-Weg hin zur Goetheschule werfen wir natürlich einen Blick auf die Baustelle Stiftsgarten, die scheinbar so gar nicht enden will. Im Bereich des einstigen Stadtgrabens hat bereits im Mai die Feuchtigkeit den Bauarbeiten einen zeitlichen Strich durch die geplante sprichwörtliche Rechnung gemacht, der starke Regen der vergangenen Tage hat den Stiftsgarten an vielen Stellen wieder sehr schlammig werden lassen. Die Arbeiten für den Aktivpark unweit der katholischen Kirche sind auf der Zielgeraden, ebenso wird aktuell entlang des Hauptweges eine Niedrigseilstrecke errichtet, die zum barrierefreien „Garten der Generationen“ gehört. Dafür muss die Witterung mitspielen, sagt Ellinghaus. Und danach muss erst noch an vielen Stellen Rasen eingesät und der Weg saniert werden, hinzu kommt die Beleuchtung durch die Stadtwerke. Bis Ende August dürften große Teile des Stiftsgartens also weiterhin abgesperrt bleiben.

Foto: Frank Bertram
Baustelle Stiftsgarten vor der katholischen Kirche: Die Nässe hat die Bauzeit in die Länge gezogen, sagt Jens Ellinghaus.

Wir gehen weiter in Richtung „Fahrradstraße“, einem großen Aufregerthema der vergangenen Wochen. Wie hat sich Jens Ellinghaus eigentlich in den vergangenen Monaten die für ihn neue Stadt Einbeck erschlossen? Per Fahrrad, mit dem Auto, zu Fuß? Ellinghaus hält’s mit Goethe: „Nur wo Du zu Fuß warst, bist Du auch wirklich gewesen.“ Der 31-Jährige wandert gerne, auch längere Strecken, erzählt er. Er hat sich das neue Umfeld durch mehrere Streifzüge durch die Region erschlossen. Und Jens Ellinghaus geht in die Luft: Seit seiner Kindheit ist er bekennender Segelflieger, hat vom Flugplatz in Bad Gandersheim aus sich aus der Vogelperspektive einen guten Überblick über die große Stadt Einbeck mit ihren 46 Ortschaften verschaffen können.

Am Neuen Markt, bei der Lernphase Fahrradstraße, geht es um ganz bodenständige Fragen. „Viele Einbecker haben sich mit dem Thema beschäftigt“, beschreibt Jens Ellinghaus die auch bei ihm und im Rathaus angekommene Diskussion, selbst wenn er persönlich nicht in den sozialen Netzwerken unterwegs ist. Das Projekt berührt automatisch mehrere Aspekte, die bei anderen Innenstadt-Themen und bei weiteren Innenstadt-Straßen ebenso gelten: Wie soll die bislang eher autogerechte Stadt in die Zukunft geführt werden? Wie bleibt dabei das Wohnen in der City möglich und für alle Anlieger erreichbar, selbst wenn es für Autos unangenehmer wird? Wie kann in Zeiten des Klimawandels die Hitze in der Innenstadt erträglich gemacht werden, wie das wichtige Grün geschaffen und weniger Fläche versiegelt werden, das Schatten bringt und das Wasser speichert? Wenn eine Verkehrssituation attraktiver für Fahrradfahrer werde, werde sie automatisch unattraktiver für Autofahrer, sagt Ellinghaus. Umgekehrt gelte das ebenso. Es gelte, die Balance zu finden, und das möglichst im Dialog mit den Bürgern. Für die Nahmobilität habe man da ja eine eigene Arbeitsgruppe geschaffen, mit der die Bürgerbeteiligung realisiert werden solle. Ob das allen Anliegern genügt? Ich melde da meine Zweifel an.

Wenn die Lernphase zu einer dauerhaften Fahrradstraße am Neuen Markt führen sollte, ist dem obersten Planer und Bauherrn im Einbecker Rathaus natürlich klar, dass die Straße insgesamt umgestaltet gehört. Weniger Asphalt, mehr Grün, insgesamt unbequemer für den Autoverkehr. Ellinghaus‘ Problem (und nicht allein seines) ist aktuell jedoch, dass für Planungen und Bauarbeiten immer weniger Ingenieurbüros und Firmen überhaupt Ausschreibungen beantworten, Angebote abgeben. Selbst wenn eine Planung erfolgt, heißt es zurzeit noch lange nicht, dass sich auch Baufirmen für die Ausführung finden. Von den gestiegenen Kosten ganz zu schweigen. „Es ist gerade eine schlechte Zeit für neue Projekte“, sagt der Fachbereichsleiter Stadtentwicklung und Bauen. Er möchte deshalb gerne, dass die Stadt künftig selbst wieder Bauingenieure ausbilde, der Arbeitsmarkt sei quasi leer, da müsse man etwas tun. Zudem müsse das vorhandene Wissen gesichert werden, wenn langjährig tätige Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen. Stadtplanung brauche die langen Linien, die Kontinuität, weiß er.

Für Jens Ellinghaus ist Einbeck seine zweite berufliche Station in Führungsposition. Der 31-Jährige war im fränkischen Kulmbach zwei Jahre lang Stadtbaurat, hatte dort nach Freiraumplanung- und Urbanistik-Studium in Osnabrück und Weimar sowie dem technischen Referendariat in Hannover seine erste Stelle gefunden. Er habe in der Zeit, lacht er, sogar ein wenig fränkisch gelernt, das Hochdeutsche hier sei ihm aber deutlich näher. Seine Vorliebe für historische Altstädte möchte Ellinghaus in Einbeck umsetzen, fühlt sich in der Innenstadt wohl, genießt es nach eigenen Worten, zu Fuß zur Arbeit gehen können.

Natürlich machen wir auf unserem Rundgang auf dem Marktplatz (Jens Ellinghaus: „Hier ist der Kern vom Kern“) am Historischen Rathaus Station. Auf dem Hallenplan arbeiten sich gerade die Archäologen durch die Stadtgeschichte im Boden, haben mittelalterliches Pflaster aus dem 13. Jahrhundert gefunden, das sich der Fachbereichsleiter von seinem Stadtarchäologen Markus Wehmer kurz erläutern lässt. Diese aktuellen Maßnahmen am Alten Rathaus, da ist Ellinghaus eindeutig, können nur der erste Schritt zu weiteren Sanierungsabschnitten für das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert sein. Mit einem schlichten Außenanstrich, dem sprichwörtlichen Eimer Farbe, sei es nicht getan, sagt Ellinghaus. Die aufsteigende Feuchte sei für das Fundament des Alten Rathauses ein Problem, hier müsse man sich rechtzeitig Gedanken darüber machen, wie man das in den Griff bekommen könne.

Foto: Frank Bertram
Spontan schaut Jens Ellinghaus bei den Archäologen auf dem Hallenplan vorbei und lässt sich erste Funde erläutern.

Unser Weg führt auch kurz zum Smart-City-Musterhaus. Für die beiden Gebäude in der Knochenhauerstraße werde es eine Farbuntersuchung geben, ob mehrfarbig der ursprüngliche historische Zustand der Fachwerk-Fassade war. Mit dem smarten Musterhaus will auch die Baudenkmalpflege zeigen, was heutzutage in alten Häusern baulich möglich ist. Die Stadt unterstütze und berate Hauseigentümer denkmalgeschützter Gebäude gerne, wobei jedem privaten Eigentümer klar sein müsse, dass es bei Baudenkmalen keine 100-Prozent-Förderung gebe. Einbeck habe aber im Gegensatz beispielsweise zu Northeim eine eigene Baudenkmalpflege, da seien die Wege kürzer. Auch die Wege zum Kompromiss. Dessen sollte man sich bewusst sein, sagt der Fachbereichsleiter.

Die Marktstraße, die Haupteinkaufsstraße mit 1a-Lagen, über die wir weitergehen, „funktioniert noch“, stadtplanerisch gesehen, sagt Ellinghaus. Betonung liegt auf „noch“, denn natürlich müsse über kurz oder lang die Straße angefasst werden. Pläne dafür gab es ja bereits, sie liegen in der Schublade und müssen aktualisiert werden. Möglichst bevor noch mehr Leben aus der Marktstraße flieht. Ja, der Handel in der Innenstadt wandele sich, eine ausgestorbene Marktstraße sieht Ellinghaus aber nicht kommen.

Unser Rundgang endet am Neustädter Kirchplatz. Für den August hat der neue Sachverständige des beim Landgericht Göttingen anhängigen selbstständigen Beweisverfahrens seinen Besuch angekündigt, dann wird er sein Gutachten erstellen. „Aus baulicher Sicht können wir zurzeit nur zuschauen“, muss Jens Ellinghaus einräumen und verweist auf das schwebende juristische Verfahren. Klar sei jedoch, dass durch die bereits erteilten und vergebenen Aufträge jede Planänderung nur teurer, nicht aber günstiger werden könne. Die aktuelle Situation mit dem neuen, zweiten Gutachter sei zudem durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zustande gekommen. Alles das war vor Ellinghaus‘ Zeit in Einbeck, er hat das Projekt Neustädter Kirchplatz sozusagen geerbt, ohne das Erbe ausschlagen zu können. Niemand aus seinem heutigen Team im Bauamt habe an der verfahrenen Situation entscheidenden Anteil gehabt, betont er noch – und ist klug genug auf meine Frage, wann denn auf dem Neustädter Kirchplatz weiter gebaut und dieser fertiggestellt werde, ohne eine Antwort nur zu lächeln.

Foto: Frank Bertram
Jens Ellinghaus vor dem Historischen Rathaus am Marktplatz.

3 Kommentare zu „Ein Spaziergang zu Stadtentwicklung und Bauen in Einbeck mit Fachbereichsleiter Jens Ellinghaus

  1. Zum Gleichgewicht im Verkehr zwischen Autos, Fahrrädern und Fußgängern (es gibt noch mehr: Rollstühle, Kinderwagen, Gehwagen): Vielleicht sollte man mal alle Regeln aussetzen, indem man alle Schilder und Straßenbemalungen für einen Zeitraum entfernt und beobachtet was passiert.

  2. M.Schröder
    Eine Baustelle wurde wohl vergessen die Toilettenanlage im Bahnhof Einbeck-Mitte.
    Die Fahrgäste warten seit Monaten auf Fertigstellung.
    Typisch Einbeck – nichts wird fertig.

    1. Einen Anspruch auf Vollständigkeit kann so ein Rundgang natürlich nie haben, dann müsste er auch viel länger dauern. Diese WC-Baustelle im Bahnhof ist ein ärgerlicher Dauerbrenner und schon öfter Thema in diesem Blog gewesen. Aktuell teilt die Stadt dazu mit: „Aufgrund von Materiallieferschwierigkeiten und den momentan üblichen Schwierigkeiten in der Baubranche sind fortwährende Verzögerungen spürbar. Die Notrufeinrichtung wird in der KW 30 installiert. Nach der erforderlichen Abnahme kann der Betrieb der Anlage aufgenommen werden.“ Das ist natürlich absolut unbefriedigend, zumal mittlerweile die 32. KW anbricht…

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