
Es war eine Verabschiedung. Kein Abschied. Dieser Unterschied ist wichtig. Gerald Strohmeier geht nach 32 Jahren und sieben Monaten als Bauamtsleiter im Einbecker Rathaus zwar Ende Oktober in den beruflichen Ruhestand. Allein durch zwei Ehrenämter wird der 65-Jährige aber auch in Zukunft in Einbeck präsent bleiben: Als Vorsitzender der Stiftung Eicke’sches Haus und als Kuratoriumsmitglied der Kulturstiftung Kornhaus für den PS-Speicher. Nur kann er das jetzt selbst frei bestimmen. „Ich habe noch Pläne und Träume“, sagt Strohmeier. Dazu dürften freilich nicht nur Ehrenämter und Bauangelegenheiten gehören, sondern auch die Muße zur Jagd, die Freude an der Natur unter anderem auf der Ellenser Streuobstwiese oder mehr Zeit für die Familie und Reisen nach Südtirol.
Beifall für einen Beamten im Einbecker Rathaus – das gibt es nicht alle Tage. Doch als alle Worte der Verabschiedung gesprochen sind, erheben sich die langjährigen beruflichen und privaten Wegbegleiter von ihren Stühlen und applaudieren mehrere Minuten Gerald Strohmeier. Der 65-Jährige ist sichtlich gerührt. Und sagt dann mit Dank an sein Bauamtsteam, das er jetzt ohne Nachfolgereglung zurück lassen muss, nur bescheiden: „Einer allein kann’s nicht richten.“ Das Ganze sei immer mehr als nur seine Teile, eine über Jahrhunderte gebaute Stadt wie Einbeck mit ihren 1200 Baudenkmalen sei mehr als die Summe ihrer aus Holz und Stein gebauten Häuser, sie sei Lebensraum und Heimat von Menschen.

Und als einen solchen Menschen beschreiben ihn viele, die man nach Gerald Strohmeier fragt. Die Baukultur hat ihm am Herzen gelegen, sie hat er in mehr als drei Jahrzehnten als Stadtbaumeister geprägt und bis in die Zukunft sichtbar gestaltet, hat sich mit dem Bauen in seiner Heimatstadt Einbeck identifiziert: Menschlich auf die Bürger eingehend, mit einem offenen Ohr für Mitarbeiter, den Menschen zugewandt, mit einer fachlichen und durch langjährige Erfahrung geprägten Meinung, aber kompromissbereit, wie die Festredner den scheidenden Bauamtsleiter bei der Verabschiedungsfeier beschrieben haben. Amt und Aufgabe seien ja öffentlich, sagt Gerald Strohmeier. „Gut, dass ich Sie treffe…“, wie oft habe er das auf der Straße von Bürgern gehört. Bei Fragen nach defekter Laterne, Dauerbaustellen oder privaten Carport-Plänen. Er hat es gerne gehört. Meistens jedenfalls…
Schon nach der Bauzeichner-Ausbildung und während des Architektur-Studiums habe Gerald Strohmeier stets großen Wert auf praktische Einblicke gelegt, habe bei verschiedenen Handwerkern gearbeitet, beschrieb Altbürgermeister Martin Wehner die berufliche Startphase. Wehner hatte zunächst als ehrenamtlicher Bürgermeister (1991-1997) politisch und später als hauptamtlicher Verwaltungschef (1998-2006) als Vorgesetzter mit Strohmeier zu tun. Beide kennen sich allerdings schon aus der evangelischen Jungenschaft. „Er wollte weiter, er wollte mehr“, sagt der ehemalige Bürgermeister. Er wollte dort arbeiten, wo praktisch gebaut wird, wo Ergebnisse greifbar sind, beschreibt das Strohmeier selbst. Das ist ihm in seiner Zeit gelungen, die als Ära bezeichnet werden darf. Viele Einbecker kennen nach 32 Jahren keinen anderen Bauamtsleiter im Rathaus als Gerald Strohmeier. Mir in meiner rund 20-jährigen journalistischen Tätigkeit in Einbeck geht das genauso.
Zu den Meilensteinen Strohmeiers ab 1982 als Bauamtschef zählte Martin Wehner die gelungene Stadtsanierung in der Tiedexer Straße, die Restaurierung von Eicke’schem Haus in der Marktstraße und Altem Schützenhaus, dem einzigen freistehenden Fachwerkhaus Einbecks, bis zu jüngsten Projekten wie Poser-Park und PS-Speicher. Aber auch nicht so populäre Projekte wie Brückenbauten am Tiedexer Tor oder Ivenstraße im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Zeitgeist habe Strohmeier durchsetzen können: „Gottseidank sind Sie standhaft und stark geblieben.“ Beim Abwasserrahmenplan in den 1990-er Jahren seien Politik und Verwaltung am Bürgerprotest in den Dörfern auf dem Berge gemeinsam gescheitert – aber am Ende habe man Recht behalten, wie sich heute zeige, sagte Wehner. Ein paar „Baustellen“ habe der 65-Jährige als Fachbereichsleiter im Einbecker Rathaus nicht mehr schließen können, dazu zählte Wehner die zwei Brandlücken in der Altendorfer Straße und in der Langen Brücke sowie die mögliche Bebauung des Neustädter Kirchplatzes.

Sehr genau haben Beobachter bei der Verabschiedungsfeier auf die Zwischentöne, die Andeutungen gehört. Die Stelle des Bauamtsleiters in Einbeck bleibt bekanntlich zunächst unbesetzt. Die Ratspolitik hat sich bislang nicht untereinander und nicht mit der Bürgermeisterin auf eine Nachfolge einigen können. Ein politischer Scherbenhaufen. Die zweite öffentliche Stellenausschreibung ist erst jüngst bis Jahresende verlängert worden, weil keine weiteren geeigneten Bewerbungen eingegangen waren. Ein zumindest in der Politik offenbar mehrheitsfähiger Bewerber hatte zwischenzeitlich andernorts zugesagt. Nachdem vertrauliche Details über die Personalie an die Öffentlichkeit gelangt waren, hatte der Stadtrat nach der undichten Stelle ermittelt, musste das Verfahren letztlich jedoch ergebnislos einstellen.
Dabei war so viel feines Gehör bei der Verabschiedungsfeier gar nicht notwendig. Denn die Worte waren deutlich und unüberhörbar. Und trotzdem dem Anlass angemessen. Personalratsvertreter Lars Engelke sprach unumwunden von einer „Katastrophe“, dass Gerald Strohmeier seine berufliche Lebensleistung nicht direkt an einen fachkompetenten Nachfolger habe weitergeben können. Die Mitarbeiter des Fachbereichs seien darüber enttäuscht. Auch Altbürgermeister Martin Wehner wünschte sich in seiner Laudatio vom aktuellen Einbecker Stadtrat den Mut wie einst 1982, als die Politik in einem zukunftsweisenden Schritt den 33-jährigen Berufsanfänger Gerald Strohmeier mit der Position betraut habe. Damals sei die Stelle neun Monate vakant gewesen, nachdem Stadtbaurat Wolfgang Becker in den Ruhestand gegangen war. Wehner: „Da entwickeln sich Eigendynamiken.“
Es war und ist klug und richtig, dass Gerald Strohmeier selbst zur ungeklärten Nachfolge bislang öffentlich geschwiegen hat. Die Versuchung mag da gewesen sein, bei der Verabschiedungsfeier selbst dazu etwas zu sagen. Doch hier hat er clever widerstanden, es hätte die Sache nur zusätzlich aufgewertet, das weiß auch Strohmeier. Die notwendigen Worte haben andere gesagt.
