Die erste kommunalpolitische Wortmeldung im neuen Jahr 2023 kommt von der dreiköpfigen Ratsgruppe „Liberal und klar“: Kurz vor dem traditionell besonders bei der FDP wichtigen Dreikönigstag hat Gruppensprecher Alexander Kloss (parteilos) im Namen seiner Gruppierung einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung des Stadtrates gestellt. Die FDP/Kloss-Gruppe möchte erreichen, dass eingereichte Anträge vor allem von Einzelratsmitgliedern, aber auch von kleinen Fraktionen und Gruppen auch wirklich die Fachausschüsse erreichen und die inhaltlichen Vorstöße nicht schon bei der Einbringung im Stadtrat stecken bleiben.
Die „Liberal und klar“-Ratsmitglieder Marlies Grascha und Hilmar Kahle (beide FDP) sowie Alexander Kloss (parteilos) haben nach eigenen Angaben nach den Erfahrungen in der Dezember-Ratssitzung beschlossen, mit dem jetzt gestellten Antrag auf Änderung der Ratsgeschäftsordnung der Bürgermeisterin ihr Unverständnis und ihre Sorge darüber mitzuteilen, dass durch die aktuelle Ratsmehrheit immer wieder Anträge schon bei deren Einbringung im Rat zerredet oder gar abgelehnt würden – ohne, dass die zuständigen Fachausschüsse dazu beraten könnten. Aus Sicht der FDP/Kloss-Gruppe sind die kleinen Parteien die Leidtragenden dieser Situation und ebenso die Einzelpersonen im Rat, für die dort rechtlich die einzige Möglichkeit besteht, ihre Ideen und Vorschläge einzubringen. Im Dezember waren zwei Anträge der AfD-Fraktion direkt im Rat gescheitert, weil die Mehrheit diese inhaltlich für bereits erledigt ansah. Als er daraufhin auf die Tatsache hingewiesen habe, dass es viele Jahre im Rat üblich gewesen sei, Anträge zumindest im Fachausschuss zu besprechen, sei ihm gleich eine Nähe zur AfD unterstellt worden, erklärte Kloss. Er betonte auf meine Nachfrage, dass seine Gruppe „keinesfalls der AfD die Steigbügel halten“ wolle. Aus seiner Sicht müssen Demokraten sich dieser Partei aber mit Argumenten und Solidarität gegenüber den Schwächeren in der Gesellschaft entgegen stellen. Reine Verhinderungstaktik, wie in der Dezember-Ratssitzung, erzeuge seiner Meinung nach eher noch mehr Solidarität mit dieser Partei.
Im bunten Einbecker Stadtrat gibt es mittlerweile drei Einzelratsmitglieder: Das ist neben Alexander Kloss auch noch Tanja Fischer, die nach ihrem Austritt bei den Linken ebenfalls wie Kloss parteilos ist, sich aber mit der Grünen-Fraktion in der Gruppe „Grüne+“ zusammengeschlossen hat. Und schließlich Helmar Breuker, den die CDU-Fraktion ausgeschlossen hat, der aber weiterhin CDU-Mitglied ist.
Bis zur nächsten Sitzung des Stadtrates am 15. März soll nach dem Willen der FDP/Kloss-Gruppe von der Verwaltung ein Formulierungsvorschlag erarbeitet werden, welcher künftig verhindern soll, dass im Rat eingebrachte Anträge von Einzelpersonen, Fraktionen oder Gruppen ohne Aussprache in einem Fachausschuss abgelehnt werden können. Wie eine solche Beratungsautomatik juristisch zu fassen sein soll, gilt bislang als offen – ebenso, ob sie überhaupt mehrheitsfähig ist Rat ist. Fraktionen und Gruppen können auch in Ausschüssen direkt Anträge stellen, Einzelratsmitglieder müssen ihre Anträge im Rat stellen, da sie ohne Gruppen-/Fraktionsanschluss in Ausschüssen lediglich Rede-, aber kein Stimmrecht haben (Grundmandat).
Die FDP/Kloss-Gruppe bittet in ihrem Schreiben an die Bürgermeisterin außerdem um baldmöglichste Umsetzung des im Sommer von der Rathauschefin vorgeschlagenen moderierten Prozesses für mehr Fairness und Miteinander, den die SPD/CDU-Gruppe angeregt hatte. „Damit künftig wieder alle von den Einwohnerinnen und Einwohnern gewählten Ratsmitglieder gemeinsam und miteinander die Interessen der Bevölkerung vertreten können und sich der menschliche Umgang im Rat früheren Zeiten annähert“, begründet die FDP/Kloss-Gruppe in ihrem Schreiben. Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek erklärte auf meine Anfrage heute, dass die Vorbereitungsarbeiten für ein „Demokratieprojekt“ bereits von ihr auf den Weg gebracht seien, man aber zunächst noch weitere Gespräche führen müsse, bevor sie damit an die Öffentlichkeit gehen könne. Die fortdauernden Spannungen innerhalb des Stadtrates möchte Michalek zunächst getrennt von diesem Projekt bearbeiten, in dem es vor allem darum gehen soll, was konkret gegen die Bedrohungen der Zivilgesellschaft getan werden kann. „Wie wir hier vorgehen können, würde ich gerne vertraulich mit den Fraktionsvorsitzenden und dem Ratsvorsitzenden erarbeiten. Und der Weg bzw. der Prozess müsste dann von allen auch akzeptiert und mit gegegangen werden und vertraulich ablaufen.“
Nachtrag 16.03.2023: Der Stadtrat hat den Antrag gestern bei 6 Ja-Stimmen (FDP/Kloss, AfD, Breuker) und 3 Enthaltungen (Grüne) mit großer Mehrheit abgelehnt. Der Antrag sei nicht fair und sachlich begründet, gab Marcus Seidel (SPD) zu Protokoll. Es verbessere nicht das Ratsklima, wenn jeder Antrag ohne Diskussion in den jeweiligen Fachausschuss überwiesen werde. Rede und Gegenrede und am Ende eine Mehrheitsentscheidung sei eine elementare Säule der parlamentarischen Demokratie, das gelte auch gerade in kommunalen Parlamenten. Seidel untermauerte seine Worte noch einmal mit einer Auswertung von Ratsanträgen seit Spätsommer 2020. Von den 40 Anträgen seien in elf Sitzungen lediglich vier Anträge direkt in der Ratssitzung abgelehnt worden, also zehn Prozent. Darunter sei übrigens auch ein SPD-Antrag gewesen.