Einbecker Erkenntnisse

Der Wähler ist ein unbekanntes Wesen. Mögen Wahlforscher ihm bei landes- und bundesweiten Wahlen schon prognostisch ein wenig auf die Schliche kommen, tappen Vorhersagen im kommunalen Wahlbereich meist im Dunkeln. Empirisch belegte Zahlen für Prognosen gibt es meistens nicht, da müssen viele Gespräche mit wahlberechtigten Menschen aushelfen, repräsentativ können die natürlich nie sein. Und das Bauchgefühl muss herhalten. Da hat ein jeder ein anderes…

Wie schwer Vorhersagen sind, zeigen sehr gut drei Bürgermeisterwahlen am vergangenen Sonntag. Und solche Direktwahlen sind ja in erster Linie auch Persönlichkeitswahlen, bei denen Parteibücher zwar für viele Wähler nicht unwichtig, aber auch nicht allzu entscheidend sind.

Wahlplakat Minkners in Hankensbüttel.

Wahlplakat Minkners in Hankensbüttel.

Der ehemalige Einbecker Bürgermeister Ulrich Minkner (SPD), der durchaus überraschend seine Kandidatur in der Samtgemeinde Hankensbüttel angemeldet hatte, kam auf rund 30 Prozent der Stimmen. Obwohl oder weil er von einem breiten Parteienbündnis aus SPD, FDP, Grünen und Freien Wählern getragen wurde? Obwohl oder weil er als auswärtiger Kandidat gegen den Amtsinhaber Andreas Taebel (parteilos) bestehen musste? Minkner, der gebürtige Einbecker, hatte in Einbeck bei Wahlen immer auf die Heimspielkarte gesetzt, 2006 gegen den „Zugereisten“ Heinz Rinas vielleicht auch deshalb gewonnen. In Hankensbüttel ließ Minkner jetzt „Offen für Neues“ plakatieren, hatte nur wenige Wochen Zeit, sich bei den Menschen bekannt zu machen, dort war er für die Wähler der Unbekannte von außerhalb. Ob das der entscheidende Grund war? Der Wähler ist ein unbekanntes Wesen.

Der Kandidat aus Einbeck war bei den Bürgermeisterwahlen in Dassel Marc Hainski. Er schaffte 34,7 Prozent, aber nicht das Ziel, als Parteiloser, von der CDU nominierter Kandidat den Amtsinhaber aus dem Chefsessel zu heben. Da halfen auch vielfältige Hinweise auf Anknüpfungspunkte im Dassel Stadtgebiet und in seinen Ortschaften nichts, der Rechtsanwalt aus Einbeck blieb der Kandidat von außen. Doch war das der einzige Grund? Kann es nicht auch eine Chance sein, sich als Nicht-Dasseler zu präsentieren, der frische Ideen und neuen Schwung von außerhalb mitbringt? Kann es, man muss sich allerdings dann entscheiden: Will man irgendwie doch Dasseler sein, oder eben nicht. Oder wollten die meisten Dasseler ihrem seit 2006 regierenden Bürgermeister Gerhard Melching (SPD) einfach noch eine weitere Amtszeit geben, weil die Mehrheit mit seiner Arbeit zufrieden ist, Dassel sogar schon wieder auf dem Entschuldungs-Zukunftsvertrag des Landes entlassen worden ist als erste Kommune in Niedersachsen? Es könnten auch Scharmützel zwischen Parteien, Persönlichkeiten und Protagonisten gewesen sein, die Hainski seine eigentlich bei der Nominierung nicht schlechten Chancen zunichte gemacht haben. Es hilft dem besten Kandidaten nichts, wenn andere das Zündeln auf Nebenkriegsschauplätzen nicht lassen können und damit gerne die Schlagzeilen und Leserbriefspalten beherrschen.

Intendant Christian Doll gratuliert Wahlsiegerin Franziska Schwarz. Im Hintergrund Heinz-Gerhard Ehmen.

Intendant Christian Doll gratuliert Wahlsiegerin Franziska Schwarz im Kaisersaal. Im Hintergrund Heinz-Gerhard Ehmen.

Und noch eine dritte Wahl passt in dieses Schema, auch wenn hier keine „Einbecker Beteiligung“ vorhanden war. Überraschend deutlich hat sich in Bad Gandersheim die SPD-Kandidatin Franziska Schwarz gegen Amtsinhaber Heinz-Gerhard Ehmen (parteilos) durchgesetzt. Mit knapp 59 Prozent ist keine Stichwahl notwendig. Ab 1. November wird in der Stadt der ersten deutschen Dichterin Roswitha von Gandersheim erstmals in der Geschichte eine Frau als hauptamtliche Bürgermeisterin agieren. Wie kam es zu diesem Erfolg, mit dem niemand in dieser Deutlichkeit gerechnet haben dürfte? Haben die Wähler ihr Kreuz bei Schwarz gemacht, obwohl oder weil Franziska Schwarz mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Uwe Schwarz verheiratet ist? Der war übrigens selbst schon einmal (ehrenamtlicher) Bürgermeister in Bad Gandersheim. Während des Wahlkampfes sah sich die SPD-Frau schon dazu veranlasst zu erklären, sie denke eigenständig… Politik am Küchentisch – ob es sie gibt oder nicht: Wäre sie am Ende schädlich, wenn sie gut für Bad Gandersheim wäre? Nach über 20 Jahren Ehmen an der Rathausspitze war offenbar in der Kur- und Kulturstadt die Zeit reif für einen Neuanfang. In Einbeck, siehe oben, war 2013 bereits nach sechs Jahren für die Mehrheit der Wähler ein Neustart angesagt, Minkner abgewählt. Der Wähler ist ein unbekanntes, ein unberechenbares Wesen…

Zeitliche Zufälle spielen wie das Leben. Und so war nur einen Tag nach der Wahlniederlage für Bürgermeister Heinz-Gerhard Ehmen am Montag Abend die traditionelle Begrüßung der Schauspieler der Gandersheimer Domfestspiele (Video hier) nunmehr auch seine letzte im Amt. Den Theatersommer freilich wird Ehmen noch als Bürgermeister erleben. Intendant Christian Doll, dessen Vertrag gerade erst um drei Jahre verlängert wurde, gab passend zum diesjährigen Spielzeit-Thema „Macht“, dem Empfang eine aktuelle politische Note, sprach vom „Machtwechsel“: Ein politischer Akt, der für die Protagonisten auch persönlich große Konsequenzen hat, passe zum Motto „Macht“ ganz hervorragend. Früher waren Intendanten-Besetzungen in Bad Gandersheim immer für politische Inszenierungen in der Kommunalpolitik gut. Seitdem die Festspiele als GmbH organisiert sind (und die Stadt nicht mehr das Sagen hat), bleiben diese Ränkespiele zumindest öffentlich aus. Doll machte aus seiner Freude über den Wahlsieg von Franziska Schwarz keinen Hehl: „Es freut mich, dass so viele Bürger in dieser Stadt durch die Wahl dokumentiert haben, dass sie an einen Aufbruch in dieser Stadt glauben. Ich habe große Lust, dabei mitzudenken und mitzumachen.“ Und in Richtung Ehmen sagte der künstlerische Domfestspielleiter: „Wo immer Sie ihr beruflicher Weg in den nächsten Jahren hinführt, hoffe ich dass sie weiterhin Botschafter für die Domfestspiele bleiben und vielen Menschen von diesen Festspielen erzählen.“ Der scheidende Bürgermeister nickte milde lächelnd. „Wahrscheinlich ist das irgendwie schrecklich, Sie verarbeiten gerade noch ihre Wahlniederlage und ich rede schon so wie bei der Verabschiedung“, sagte Christian Doll.

Sozialdemokratische Freude beim Schauspielerempfang im Kaisersaal: Unter Beobachtung des aus dem Einbecker Ortsteil Kreiensen kommenden Finanz-Staatssekretärs Frank Doods aus der zweiten Reihe lachen Landrat Michael Wickmann (r.), die neue Bürgermeisterin Franziska Schwarz und ihr Ehemann Uwe.

Sozialdemokratische Freu(n)de beim Schauspielerempfang im Kaisersaal: Unter Beobachtung des aus dem Einbecker Ortsteil Kreiensen kommenden Finanz-Staatssekretärs Frank Doods aus der zweiten Reihe lachen Landrat Michael Wickmann (r.), die neue Bürgermeisterin Franziska Schwarz und ihr Ehemann Uwe.

So vielfältig wie die jeweiligen Städte, so vielgestaltig sind auch die Gründe, warum der eine gewonnen, der andere verloren hat. Eine Blaupause Bürgermeister für den Erfolg beim Wähler gibt es eben nicht.

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