Das war eine erschreckend entlarvende, wenngleich vermutlich auch ziemlich ehrliche Diskussion in öffentlicher Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses: Wo soll es in Einbeck weitere Möglichkeiten geben, Einfamilienhäuser bauen zu können? Am Walkemühlenweg? An der Liegnitzer/Kolberger Straße? In der Südstadt also? Oder am Weinberg? Gute Gegenden in Einbeck sollen ja für einige erst nördlich der Reithalle anfangen. Während der Debatte schrammten einige haarscharf an der Grenze zum politisch Unkorrekten. Und am Ende entschied sich die Politik dafür, in allen drei genannten Gebieten Bauland zu schaffen: Mit 10 Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen (Dr. Reinhard Binder, FDP, und Walter Schmalzried, CDU) sowie einer Enthaltung von Dietmar Bartels (Grüne). Die Gegner hätten es lieber gesehen, nur an Walkemühlenweg und Liegnitzer Straße in der Südstadt bauen zu ermöglichen, nicht aber auch noch zusätzlich am Weinberg. Diesen Wunsch brachte die SPD ein. Ihre Fraktion begrüße es zwar ausdrücklich, dass die Verwaltung kurzfristig Bauplätze für Einfamilienhäuser in der Liegnitzer Straße und mittelfristig auch im Baugebiet Deinerlindenweg/Walkemühlenweg realisieren wolle, begründete Eunice Schenitzki den Vorstoß der Sozialdemokraten. Doch das sei zu wenig. „Wenn Einbeck im Wettbewerb um Fachkräfte eine ernstzunehmende Chance haben soll, dann müssen wir auch bereit sein, dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen“, meinte die Ratsfrau aus Hullersen. „Ein Vertrösten auf andere Flächen geht an der Realität vorbei.“ Mit dem Bebauungsplan Weinberg am nordöstlichen Stadtrand sei seinerzeit bewusst eine Perspektive für Einfamilienhäuser in attraktiver Wohnlage entwickelt worden. Und die sei begehrt, die Bauplätze seien schnell vergeben gewesen. Bauherren möchten bauen, wo sie wollen – und sich das nicht von Verwaltung oder Politik vorschreiben lassen, sagte Schenitzki. Attraktive Wohnlagen also nur in der Nordstadt?
Bauamtsleiter Frithjof Look und auch Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek beschworen die Ratsmitglieder geradezu, sich bei den neuen Bauplätzen nicht zu verzetteln. Und verwiesen auf eine detaillierte Fakten-Untersuchung ihres Rathauses (PDF). „Mehr als zwei Baugebiete kanibalisieren sich.“ Der Bedarf sei zwar da, es gebe jedoch auch genügend frei werdende Bestandsimmobilien, beispielsweise in der Nordstadt. Wenn die Stadt an zu vielen Stellen mit neuen Baugebieten anfange, versenke sie viel Geld allein in die notwendige Infrastruktur und binde zudem Planungskapazitäten. Und Geld: Mit dem Beschluss, den Weinberg weiter zu entwickeln, sei sein halber Etat gebunden, machte Look deutlich. Das wird sich bemerkbar machen, spätestens sobald die Politik die nächsten Planungsaufträge für was auch immer an die Verwaltung vergeben wird, kommt es wieder auf die Tagesordnung und fällt den Kommunalpolitikern vor die Füße. Und vor 2020 könne nach heutigem Stand und den notwendigen Planungsschritten dort am Weinberg sowieso niemand neu bauen, sagten Look und Michalek.
Nahezu klassenkämpferisch wurde die Debatte, als CDU-Ratsherr Bernd Huwald sich äußerte, für leitende KWS-Mitarbeiter, die neu bauen möchten, sei die Liegnitzer Straße in der Südstadt nicht attraktiv. Damit stieß er bei Bauamtsleiter Frithjof Look auf Empörung und Granit. Zu recht. Dort wie auch am nahen Walkemühlenweg seien attraktive Bauplätze direkt am Wasser und mit Nähe zur Natur vorgesehen, schicke Stadthäuser. „Welche Klientel zieht denn dann in die Liegnitzer Straße?“, antwortete Look bewusst provokant böse fragend. Ich finde es bemerkenswert und politisch ziemlich mutig von der SPD, sich im Vorjahr einer Kommunalwahl so vehement auf die Seite von leitenden Angestellten des größten Arbeitsgebers in Einbeck zu schlagen – und nicht auf die der kleinen Leute. War das nicht mal die Klientel der Sozialdemokraten? Übrigens: Das Wort „sozialer Wohnungsbau“ fiel in der Diskussion nicht ein einziges Mal…
