Integration entscheidet sich vor Ort – jetzt!

NST-Hauptgeschäftsführer Heiger Scholz, die Bürgermeister Frank Klingebiel (Salzgitter), Dr. Sabine Michalek (Einbeck) und Werner Backeberg (Uetze) sowie NST-Geschäftsführer Dr. Jan Arning.
NST-Hauptgeschäftsführer Heiger Scholz, die Bürgermeister Frank Klingebiel (Salzgitter), Dr. Sabine Michalek (Einbeck) und Werner Backeberg (Uetze) sowie NST-Geschäftsführer Dr. Jan Arning.

Die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen ist keine Zukunftsaufgabe, die irgendwann einmal gelöst werden muss. Sie beginnt jetzt vor Ort, heute, jeden Tag. Und ihr Erfolg entscheidet sich in den Städten und Gemeinden. Nicht in Berlin. Das haben die Interessenvertreter des Niedersächsischen Städtetages bei ihrer Präsidium-Tagung in Einbeck unmissverständlich deutlich gemacht. 2015 wurden laut Städtetag rund 83.750 Flüchtlinge auf die Städte und Gemeinden in Niedersachsen verteilt, 2016 werden bis zu 132.500 Menschen erwartet. In Einbeck leben laut Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek zurzeit 368 Menschen dezentral in 17 Ortschaften in Wohnungen, Hauptherkunftsland ist Syrien. Seit Mitte Januar habe die Zahl der Zuweisungen merklich nachgelassen, sagte die Rathauschefin, doch wie es sich in der nächsten Zeit entwickeln wird, kann niemand vorhersagen. Der Niedersächsische Städtetag (NST) will bei der Integration von Flüchtlingen in den Kommunen den Krisenmodus so schnell wie möglich verlassen und mehr agieren als reagieren. „Wenn wir es heute versäumen rechtzeitig zu handeln, fliegen uns in zehn Jahren die Parallelgesellschaften um die Ohren“, sagte NST-Präsident Frank Klingebiel im Einbecker Rathaus bei einem Pressegespräch. Die Beschlüsse waren so frisch, dass sie vor Ort in Einbeck den Medienvertretern noch nicht schriftlich vorlagen, sondern erst kurz nach Beginn einer Pressekonferenz in Hannover schriftlich nachgereicht wurden. Oder wollten es sich die Kommunalen da mit der Hauptstadtpresse nicht verscherzen? Auch Lokaljournalisten können schnell sein und hätten ja alles schon zwei Stunden früher über Breitband an die Öffentlichkeit bringen können…

Bei seinem Treffen hat das Präsidium der Interessenvertretung der Städte und Gemeinden in Einbeck ein 20-seitiges Papier mit Forderungen an Bund und Länder einstimmig beschlossen (NST-Papier Integration von Fluechtlingen). Dieses  war zuvor bei einer Tagung von rund 70 Bürgermeistern des kommunalen Spitzenverbandes intensiv beraten worden. „Die Kommunen sind gewillt und in der Lage, die Aufgaben zu lösen“, sagt Frank Klingebiel, der Oberbürgermeister von Salzgitter. Die größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung lasse sich aber nicht aus der Portokasse bezahlen: Der NST erwartet deshalb die Übernahme der gesamten Integrationskosten durch Bund und Länder, benötigt würden dauerhaft nennenswerte zweistellige Milliardenbeträge. Wenn der Bund seine Mittel aus dem Solidaritätszuschlag einsetze und die Länder in gleicher Höhe ergänzten, lasse sich bis 2020 ein Betrag zwischen 20 und 30 Milliarden Euro pro Jahr für die Integration der Flüchtlinge bereitstellen, rechnen die Kommunalpolitiker vor.

Notwendig sei kein Krisengipfel, sondern ein „Marschall-Plan“, wie Flüchtlinge beispielsweise möglichst frühzeitig in Ausbildung und Beschäftigung gebracht werden können und gleichzeitig eine Sprachförderung einsetzen könne. Dabei müssten unter Umständen auch Qualifikation-Standards für Lehrende fallen oder pragmatisch abgesenkt werden, sagte Frank Klingebiel. Bis zur Ausbildung von notwendigen Deutsch-Lehrkräften nach Lehrplan habe man keine sechs Jahre Zeit mehr. Die Flüchtlingsbetreuung funktioniere nur durch einen außergewöhnlichen Kraftakt der Städte, Gemeinden und zahlreicher ehrenamtlicher Helfer. „Ohne sie wird auch die Integration nicht gelingen; trotzdem ist das Ehrenamt natürlich nicht darauf ausgelegt, Staatsaufgaben auf Dauer wahrzunehmen“, erklärte Klingebiel. Eine Unterstützung durch Hauptamtliche sei notwendig. Und auch das koste wieder Geld.

Der NST rechnet damit, dass – einschließlich des Familiennachzugs – von den 2015 und 2016 ankommenden Flüchtlingen über 300.000 Menschen dauerhaft in Niedersachsen bleiben werden. Hierfür seien mindestens 50.000 Wohnungen zusätzlich zu schaffen, die spätestens nach Eintreffen der Familien benötigt werden. Das Land stellt dazu bis 2019 jeweils 40 Millionen Euro und einmalig 400 Millionen Euro an zinsfreien Darlehen bereit. Hinzu kommen rund 50 Millionen Euro an Bundesmitteln. „Diese Beträge sind allerdings auch ohne den Zuzug der Flüchtlinge notwendig, da preisgünstiger Wohnraum in vielen Ballungsräumen Niedersachsens schon länger fehlt“, erklärte der NST-Präsident. „Das Geld muss deshalb auch auf längere Sicht in mindestens dieser Höhe zur Verfügung stehen“, so die Forderung des Städtetages.

Jeder Teilnehmer erhielt ein Einbeck-Präsent.
Jeder Teilnehmer erhielt ein Einbeck-Präsent.

Gastgeberin Dr. Sabine Michalek hat das Städtetag-Präsidium bei dem zweitägigen Treffen als „konsensfähiges Gremium“ über die Parteigrenzen hinweg erlebt, wie sie sagte: „Wir Bürgermeister können viel voneinander lernen.“ Das NST-Präsidium trifft sich vier Mal im Jahr zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch und zur gemeinsamen thematischen Positionierung. Neben einer Stadtführung am Abend stand für die knapp 30 Teilnehmer auch eine Visite des PS-Speichers auf der Tagesordnung.

Intensive Abstimmung bis zur letzten Minute vor der Pressekonferenz.
Intensive Abstimmung der Akteure bis zur letzten Minute vor der Pressekonferenz in Einbeck.

Als weitere Themen der 218. Sitzung des Präsidiums beschäftigte sich das Gremium mit geplanten Änderungen des Kommunalverfassungsgesetzes und mit dem Zugang zu Rathaus-Informationen durch die Bürger. Letzterer sei völlig ausreichend. Das Städtetag-Präsidium lehnt es ab, bei Bürgerbegehren die erforderlichen Quoren abzusenken, wie das die Landesregierung plane. „Das schwächt die Räte und die repräsentative Demokratie“, sagte Klingebiel. Kritisch sieht der Städtetag die vorgesehene Pflicht, ab 20.000 Einwohner hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte einstellen zu müssen. Das solle jeder Gemeinde selbst überlassen bleiben. Oder aber das Land solle komplett die Kosten für die Stellen erstatten.

Der Niedersächsische Städtetag vertritt als kommunaler Spitzenverband die Interessen von 126 Städten und Gemeinden mit rund 4,7 Millionen Einwohnern und repräsentiert damit rund 60 Prozent der Einwohner des Landes Niedersachsen. Im Landkreis Northeim sind die Städte Einbeck, Northeim, Uslar, Moringen und Bad Gandersheim Mitglieder der Städtelobby; im Präsidium sind die Bürgermeisterinnen Dr. Sabine Michalek (Einbeck) und Franziska Schwarz (Bad Gandersheim) vertreten.

Gruppenbild mit Bürgermeistern: die Teilnehmer der Präsidium-Tagung des Städtetages in Einbeck. Foto: Stadt Einbeck/Fotogen
Gruppenbild mit Bürgermeistern im historischen Rathaus der Stadt Einbeck: die Teilnehmer der Präsidium-Tagung des Niedersächsischen Städtetages in der Rathaushalle. Foto: Stadt Einbeck/Fotogen