Krankenhaus-Streit: Immer neue Details

Der Streit im Einbecker Bürgerspital wird immer mehr zur Geschichte mit offenem Ausgang. Jüngste Wendung: Der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral-  und Kinderchirurgie an der Uniklinik Göttingen, Prof. Michael Ghadimi, ist nach meinen Informationen mit sofortiger Wirkung von seiner Funktion als Beiratsmitglied des Einbecker Krankenhauses zurückgetreten. Damit besteht der dreiköpfige Beirat, der einem Aufsichtsrat gleichkommt und die Geschäftsführung beaufsichtigt, nur noch aus zwei Mitgliedern: Jochen Beyes als Vorsitzender und Dr. Florian Schröder als von der Stadt Einbeck entsandtes Mitglied. Ghadimi begründete seinen Schritt damit, dass er die Freistellung des kaufmännischen Geschäftsführers Hauke Heißmeyer nicht unterstützen könne. Warum der Beirat zuvor verkleinert und drei Beiratsmitglieder entlassen worden seien, habe man ihm gegenüber nicht begründet. Auch bei der medizinischen Entwicklung des Bürgerspitals meldet Ghadimi Bedenken an. Wegen einer Vielzahl von ungeklärten Dingen und Entwicklungen, die er für falsch halte und nicht gutheißen könne, habe er sich zum Rücktritt entschlossen, teilte er mit.

Unterdessen werden immer neue Details bekannt. Vieles spielt sich, und das ist bei einer GmbH juristisch völlig legitim, hinter den Kulissen ab. Interessante Fakten sind im Handelsregister nachzulesen: Dort sind aktuell nur noch zwei Gesellschafter notiert. Der eine mit 20 Prozent Anteil ist der Chefarzt und Ärztliche Direktor Dr. Olaf Städtler, der andere Gesellschafter ist die Einbecker Bürgerspital GmbH selbst, deren alleiniger Geschäftsführer Städtler nach der Freistellung seines kaufmännischen Kollegen Hauke Heißmeyer momentan ist. So war das auf der Pressekonferenz am Montag auch erklärt worden. Damit ist aber auch klar, dass der direkte Einfluss der Initiativgesellschafter minimalst ist.

Das Tischtuch zwischen zwei Gesellschafter-Gruppen ist zerschnitten, ob es wieder genäht werden kann, ist offen. Und es geht nicht allein um Geld. Klar ist zwar: Während die einen Anteilseigner den Mitarbeitern wieder mehr Gehalt zahlen möchten, nachdem diese lange Zeit im Interesse der Sanierung auf 8,5 Prozent ihres Lohnes verzichtet haben, möchten das die anderen trotz schwarzer Zahlen nicht. Jedenfalls nicht in dem Umfang, wie die anderen das möchten. Den Gesellschaftern, die sich ausgebootet fühlen, geht es aber auch um Transparenz gegenüber den Mitarbeitern und der Öffentlichkeit, denn eine Klinik von Bürgern für Bürger soll sich mitteilen und erklären. Die andere Gruppe überschreibt Pressemitteilungen offenbar nur lieber immer wieder mit einem guten Weg, auf dem man sei.

Die Gewerkschaft Verdi hat „die derzeitige Führungsriege“ scharf kritisiert: Dr. Olaf Städtler, Jochen Beyes und Michael Heraeus betrieben eine Falschinformation der Öffentlichkeit, um von eigenen Versäumnissen in der Vergangenheit abzulenken, heißt es in einer auführlichen Pressemitteilung (pm_kh_einbeck-fuehrung-betreibt-falschinformation). Gewerkschaftssekretärin Julia Niekamp kritisiert, dass vor allem Andreas Büchting als einer der Initiativgesellschafter jetzt nicht deutlich wahrnehmbarer Stellung beziehe. Intern hat er das getan. Mitte Oktober hat Büchting in einem Brief unter anderem an die Chefärzte sehr kritisch seine Enttäuschung über die Entwicklung beschrieben. In dem Schreiben, das mir vorliegt, ist unter anderem von juristisch fragwürdigen Schachzügen beim Ausschluss der Gemeinschaft Einbecker Familien als Gesellschafter und von Vertrauensbruch des Treuhänders die Rede. Die ausgeschlossene Gemeinschaft Einbecker Familien habe eine andere Vorstellung von der Führung des Hauses und den Umgang mit Menschen, heißt es in dem Brief. Das Vorgehen habe man deshalb bislang nicht angefochten, weil damit voraussichtlich ein jahrelanger Rechtsstreit verbunden sei, der erhebliche Unruhe im Krankenhaus und in der Öffentlichkeit und eine eventuelle Gefährdung von Arbeitsplätzen bedeutet hätte. Die Unruhe freilich gibt es jetzt trotzdem. Julia Niekamp: „Die Beschäftigten erwarten jetzt wirksame Unterstützung. Sie haben bisher mit 3,6 Millionen Euro Gehaltsverzicht am meisten Geld und Nerven in ihr Krankenhaus investiert.“ Andreas Büchting war für eine Stellungnahme bislang nicht zu erreichen.

Das vom medizinischen Geschäftsführer Dr. Olaf Städtler am Montag in der Pressekonferenz genannte Angebot von Zahlung von 20 Prozent des Weihnachtsgelds und einer 2,4-prozentigen Gehaltssteigerung hat die Gewerkschaft Verdi als „Falschaussage und Täuschung der Öffentlichkeit“ kritisiert. Diese Steigerung sei seit Mai und dem Ende des Sanierungstarifvertrags kein Angebot, sondern Verpflichtung. Deshalb habe Verdi auch nicht reagiert.

Unterdessen hat der Marburger Bund die Ärzte im Bürgerspital darüber informiert, dass die Mediziner auch nicht individuell per Einzelvertrag Gehaltsverzicht erklären könnten, weil ein Tarifvertrag gelte. Das Haus schulde den Ärzten seit September monatlich insgesamt 10,8 Prozent mehr Gehalt, heißt es in einer Mitgliederinformation, die mir vorliegt. „Wir sehen mit Sorge, dass erneut jemand am Ruder ist, der im persönlichen Umgang mit Gewerkschaften bewiesen hat, dass er diese nicht als Vertragspartner betrachtet“, schreibt die Gewerkschaft der angestellten Klinikärzte in Niedersachsen. Nachdem der kaufmännische Geschäftsführer Hauke Heißmeyer „kaltgestellt“ und freigestellt worden sei, mache es dieses Gebaren dem Marburger Bund „nahezu unmöglich, Vertrauen in die Sanierungsfähigkeit des Hauses zu entwickeln“.

Verdi hat nach Angaben von Julia Niekamp bereits seit Herbst 2015 in Gesprächen, schriftlich und zuletzt nochmal in diesem Herbst in einem Telefonat der Geschäftsführung immer wieder deutlich gemacht, dass es tarifvertragliche Regelungen nur für alle Berufsgruppen geben könne. Niekamp: „Alle oder keiner, Krankenschwester und Arzt. Das ändert sich auch nicht, auch wenn der Arbeitgeber alle paar Monate bei uns – und offenbar nur bei uns – Druck macht.“

Inzwischen gibt es auch erste Wortmeldungen aus der Politik zum Bürgerspital-Streit. Die Debatte über die Eigentümerstruktur nimmt die Einbecker CDU zum Anlass, „sich vorbehaltlos hinter das Krankenhaus und die handelnden Akteure zu stellen“, erklärte CDU-Ratsfraktionschef Dirk Ebrecht in einer Pressemitteilung (pm-cdu-einbeck-zum-buergerspital-16-11-18). Das Vorgehen der Gewerkschaft Verdi betrachtet die CDU als „absolut verantwortungslos“. Das Bürgerspital laufe wirtschaftlich stabil. Die Geschäftsführung habe die Klinik nicht nur in schwarze Zahlen geführt, sondern auch medizinisch weiter entwickelt und strategische Zukunftsverantwortung bis hin zu einem geplanten Neubau übernommen. Umso unverständlicher seien deshalb „die persönlichen und zum Teil ehrabschneidenden Vorwürfe, die in den letzten Tagen in verschiedenen Medien erhoben worden sind“, erklärte Ebrecht. Die CDU werde sich kommende Woche erneut ein Bild vor Ort machen und mit den Akteuren des Bürgerspitals sprechen. Ebrecht: „Wir sehen nicht länger zu, wie das Bürgerspital und dessen handelnden Personen zu Unrecht schlecht geredet werden.“ Den örtlichen Landtagsabgeordneten von SPD und FDP warf Ebrecht vor, in Sachen Bürgerspital „offenkundig abgetaucht“ zu sein. Aus Sicht der CDU kommen diese ihrer politischen Verantwortung nicht nach.

Nachtrag 20.11.2016: Die Einbecker SPD kritisiert die durch den Streit entstandene aktuelle Situation scharf, vor allem mit Beschäftigten und Gewerkschaften werde respektlos umgegangen. Besonders für die Neubaupläne müsse die derzeitige Geschäftsleitung jetzt dem Land tragfähige Konzepte liefern. Sonst sei die Millionen-Förderung ernsthaft in Gefahr. SPD-Vorsitzender Marcus Seidel kritisiert, dass die Informationslage nach seiner öffentlichen Anfrage in Stadtrat nach wie vor mangelhaft sei, was besonders ärgerlich sei, weil die Stadt über den Beirat direkt vertreten sei und Einfluss nehmen könne.

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