Zwei Wochen nach dem Sprengstoffanschlag von mutmaßlich rechtsextremistischen Tätern auf das Wohnhaus einer 41-Jährigen in der Einbecker Innenstadt, bei dem inzwischen die Terrorismusexperten der Generalstaatsanwaltschaft Celle ermitteln, hat der Einbecker Stadtrat am Mittwoch einstimmig eine Resolution „Gegen politischen Extremismus – für Toleranz und friedliche gegenseitige Wertschätzung in Einbeck“ beschlossen. „Wir können nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen“, begründete Dirk Ebrecht (CDU) den zuvor zwischen den Fraktionen abgestimmten gemeinsamen Resolutionstext, den er im Namen aller Fraktionen als Dringlichkeitsantrag auf die Tagesordnung brachte.

Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek hatte zunächst noch einmal ihre Verurteilung des Anschlags wiederholt. Die Tonalität der zahlreichen Versammlungen seit September vergangenen Jahres habe sich verschärft, führte sie weiter aus – auch bei denjenigen, die eigentlich einen sollte, Extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassimus und Gewalt abzulehnen und zu verurteilen, und für die rechtsextremistisches Gedankengut nicht akzeptabel sei. „Wir fangen an, uns gegenseitig auszugrenzen, das stimmt mich äußerst nachdenklich“, sagte Michalek. „Wir dürfen uns in unserer Ablehnung des Rechtsextremismus nicht auseinander dividieren lassen“, appellierte die Bürgermeisterin. Es gebe eine Vielzahl von Protestformen gegen Rechtsextremismus, die man gegenseitig respektieren sollte. Ihre sei es beispielsweise nicht, schwarz vermummt mit ausgestrecktem Mittelfinger durch die Straßen zu laufen. Sie verurteile das nicht, aber sie selbst setze lieber auf bunte Farben oder weiße Rosen. Hass sei die destruktivste Kraft der Menschheit. Hass gründe sich nicht auf dem Willen, eine bessere Zukunft zu schaffen. Man dürfe nichts ausblenden, dürfe auf keinem Auge blind sein. „Gewalt, aus welcher Ecke und gegen wen auch immer, in Worten wie in Taten, dürfen wir niemals dulden“, sagte Michalek. In einem Rechtsstaat gebe es keinen Raum für „Gewalt mit gutem Gewissen“, weder von Rechtsaußen noch von Linksaußen.
Die Bürgermeisterin antwortete auch auf eine Anfrage von Alexander Kloss (SPD), der „einen Imageschaden für das touristische Einbeck“ durch die diversen Demos sieht, und wissen wollte, ob die Stadt keine Demo-Standorte außerhalb der Altstadt zuweisen und regelmäßige Platzverweise gegen Pöbler aussprechen könne. „Wenn es so leicht wäre“, sagte Michalek. Sie sei selbst einmal mit der Polizei auf Streife gegangen, dabei seien in der Marktstraße gegen einige der dort Angetroffenen auch Platzverweise ausgesprochen worden, eine 24/7-Überwachung per Streife sei aber nicht möglich. Und bei Demo-Anmeldungen denjenigen einen Platz zuzuweisen sei „ein schöner Traum“. Die Versammlungsfreiheit erlaube nun einmal, dass der Anmelder den Ort selbst bestimmen könne. Nur bei nicht mehr zu beherrschender Sicherheitslage könne dieser Platz verwehrt werden.
Udo Harenkamp (AfD), der die Resolution am Ende auch mit beschlossen hat, war zuvor mit seinem eigenen Dringlichkeitsantrag an der breiten Mehrheit im Stadtrat gescheitert. Er lehne Extremismus und Gewalt von jeglicher Seite ab, Einbeck müsse man von Extremisten frei halten, sagte er, die Stadt dürfe nicht zum „Schlachtfeld von Extremisten“ werden. Harenkamp unterstellte der Gruppe „Einbeck ist bunt“, dass sie linksextremistisch unterwandert sei. „Diese Entwicklung ist besorgniserregend“, sagte Harenkamp. „Das ziehe ich mir nicht aus der Nase, schauen sie in die sozialen Netzwerke.“ Der AfD-Ratsherr kritisierte außerdem, dass die Bürgermeisterin und die Ratsmehrheit im vergangenen Jahr die mutmaßlich ebenfalls von Extremisten unterwanderte Bewegung „Fridays for future“ durch einen Sitz im Unweltausschuss des Stadtrates hoffähig gemacht habe.
Marcus Seidel (SPD) konterte unmissverständlich deutlich: „Ein AfDler ohne Hetze ist wie Einbeck ohne Fachwerk.“ Schlicht nicht vorstellbar eben. Harenkamp selber posiere bei Facebook in seinem Profil mit einem Gewehr in der Hand und dem #KeinMillimeternachLinks. Seidel: „Eine klarere Bildsprache kann es nicht geben.“ Harenkamp relativere und verharmlose den rechtsextremistischen Anschlag, wenn er von einem „Bölleranschlag“ schreibe und unterstelle, dass der Anschlag die logische Folge einer Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts sei. Er erwecke den Eindruck, dass das Opfer selbst Schuld sei. Und Harenkamp bezeichne in seiner Rede im Stadtrat die Frau, der der Anschlag galt, als eine linksextremistische, verfassungsfeindliche Person. „Sind Sie eigentlich noch ganz bei Trost?“ Diese Täter-Opfer-Umkehr sei ein Mittel, das die AfD pflege. Harenkamp müsse erklären, wenn er angeblich gegen alle Extremisten sei, warum er dann noch in der AfD sei, stehe diese Partei in Niedersachsen doch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. „Sie selber, die AfD, sie sind die Verfassungsfeinde“, sagte Seidel. „Sie und ihre Spießgesellen spalten mit Fremdenhass und mit ihrer Propaganda diese Gesellschaft. Mit ihren Reden und Schriften legen sie Hand an das Fundament für rechtsextreme Gewalt“, rief der SPD-Politiker. „Sie sind kein Biedermann, Sie sind Brandstifter, Sie sollten sich schämen.“
Der Resolutionstext im Wortlaut:
In Einbeck ist das friedliche Miteinander in Gefahr! Seit einigen Wochen bereits wird unsere friedliche Atmosphäre, unser von Respekt und Toleranz sowie der von Achtung und Wertschätzung geprägte tägliche Umgang auf eine harte Probe gestellt.
So haben viele Mitbürgerinnen und Mitbürger mit einem Gefühl der Ohnmacht ansehen oder auch miterleben müssen, wie sich politisch motivierte Aktionen und Kundgebungen zu einem eskalierenden Karussell von Demonstrationen und schließlich über Hetze bis hin zu Gewalt steigerten. Die initial von rechtsextremistischen Kreisen ausgehenden Hass- und Hetztirade haben mittlerweile auch linksradikale Strukturen als Gegenbewegung auf den Plan gerufen.
Ein unfassbarer und durch nichts zu relativierender negativer Höhepunkt bildete ein mit Explosivmitteln verübter, rechtsextremistischer Anschlag aus der vorvergangenen Woche. Diese irrsinnige Attacke hat unsere Stadt bundesweit und auch in Teilen der Welt eine extrem negative Aufmerksamkeit eingebracht. Vor allem aber bedroht diese Entwicklung unser friedliches und demokratisches Miteinander, unsere respektvolle Toleranz gegenüber anderen Meinungen und in der Konsequenz auch Gesundheit und Leben.
Wir werden diese Form der Auseinandersetzung über unterschiedliche Weltanschauungen nicht länger hinnehmen! Wir treten entschlossen für ein friedliches und demokratisches Miteinander in unserer Stadt ein! Jede Form von politischem Extremismus und von politisch motivierter Gewalt hat in Einbeck nichts zu suchen!Deshalb fordern wir von allen Bündnissen, Vereinen, Zusammenschlüssen, Parteien etc., die friedliche Auseinandersetzung zu suchen ohne Anwendung von Gewalt und menschenverachtendem Verhalten.
Wir setzen auf mündige Bürgerinnen und Bürger, deren Werte sich auf Friedfertigkeit, demokratische Toleranz, Achtung und Respekt gegenüber dem Nächsten und gegenüber der Allgemeinheit gründen. Diese Werte geben unserer bürgerlichen Gesellschaft seine wahre Kraft. Diese Werte begründen und stärken unsere Demokratie und schützen damit auch den Einzelnen in seiner Weltanschauung und Würde. Diese Werte schützen unseren gesellschaftlichen Frieden.
Gegen politischen Extremismus – für Toleranz und gegenseitige Wertschätzung in Einbeck!
Einstimmig beschlossene Resolution des Stadtrates Einbeck vom 24. Juni 2020