SPD: „Wissensquartier“ sofort stoppen

Die SPD will das Millionen-Projekt „Wissensquartier“ sofort stoppen. Für den Finanzausschuss kommende Woche hat die Fraktion einen Antrag gestellt, die Bauabschnitte 2 und 3 des Projektes nicht weiter zu verfolgen und aus dem Haushalt 2021 sowie der weiteren Finanzplanung zu streichen. Im Kulturausschuss war die SPD kürzlich noch knapp mit ihrem Vorstoß gescheitert. SPD-Fraktionschef Rolf Hojnatzki glaubt jedoch, dass es für einen Stopp eine kritische Mehrheit spätestens im Stadtrat gibt, andere hätten sich ja bereits positioniert. Jetzt sei der richtige und letzte Zeitpunkt, um noch mit vertretbarem Aufwand das „Wissensquartier“ nach dem ersten Bauabschnitt (Kita-Neubau Münstermauer) zu beenden, schreiben die Sozialdemokraten in einem Positionspapier zu dem Thema.

Es sind die Kosten für die räumliche und inhaltliche Vereinigung von Stadtmuseum, Stadtarchiv und Stadtbibliothek mit Neu- und Anbauten am Standort zwischen Steinweg und Münstermauer, die die SPD erschrecken. Von insgesamt rund 20 Millionen Euro ist die Rede, der städtische Anteil ohne Fördermittel würde bis ins Jahr 2025 netto bei insgesamt mehr als 13,5 Millionen Euro liegen. Eine dafür notwendige Verschuldung sei in der aktuellen Wirtschaftslage mit noch ungewisser Aussicht durch die Corona-Pandemie unverantwortlich. „Damit wäre der vielzitierte Zukunftsvertrag rückwirkend gebrochen“, schreiben die Sozialdemokraten in ihrem Positionspapier. Ein solches Millionenprojekt „nimmt uns jedweden Spielraum im Haushalt und blockiert anderes auf lange Zeit“, sagt der stellvertretende SPD-Fraktionsschef Marcus Seidel. „Das Projekt ist finanziell zu groß geworden.“

Warum der Stopp erst jetzt, nach viel Planung, Architektenwettbewerb und Förderanträgen? Erst mit dem Haushaltsentwurf 2021 habe man einen Überblick der Gesamtkosten mit allen Details erhalten, begründet Hojnatzki. Außerdem sei auch erst kürzlich klar geworden, dass die Fördermittel-Finanzierung des neuen Kindergartens nicht unbedingt mit den Bauabschnitten 2 und 3 des „Wissensquartiers“ verknüpft sein müsse. Was den Ausstieg jetzt erleichtere. Man habe nicht bereits vor weiteren Planungskosten im Herbst die Reißleine gezogen, weil es erst belastbare Zahlen gebraucht habe. „Wir wollten nicht Nein sagen, weil wir glauben, dass wir es nicht finanzieren können“, erläutert Hojnatzki. „So leicht wollen wir es uns auch nicht machen. Wir wollten es wissen.“ Jetzt habe man dieses gesamte Bild des Projekts. Und angesichts der finanziellen Gesamtdimension seien 100.000 Euro an Planungskosten durchaus vertretbar gewesen.

Möglicherweise habe die Bürgermeisterin ihren Haushaltsentwurf 2021 ja auch erst deshalb im Dezember und nicht bereits im September im Stadtrat eingebracht, damit das Projekt „Wissensquartier“ nicht mehr politisch im Bürgermeisterwahlkampf thematisiert werden konnte, vermutet Dirk Heitmüller (SPD), der damals ihr Gegenkandidat war. Dem Nein zu dem Projekt sei in der SPD-Fraktion ein schweres Abwägen voraus gegangen, berichtet er. Einbeck könne sich aber eine so große finanzielle Anstrengung einfach zurzeit nicht leisten.

Grundsätzlich stehe die SPD dem Konzept „Wissensquartier“ positiv gegenüber. Jedoch habe es die Verwaltung versäumt, die Idee, die hinter dem Projekt stecke, richtig nach außen zu transportieren. Viele Bürger wüssten gar nicht oder erst seit wenigen Tagen ein wenig durch die nach dem Kulturausschuss entstandene öffentliche Debatte, was mit dem „Wissensquartier“ überhaupt inhaltlich gemeint sei, sagt Eunice Schenitzki (SPD). Es gehöre zu Großprojekten allerdings dazu, Nutzen und Kosten vollumfänglich und objektiv darzustellen, damit eine Meinungsbildung in der Bevölkerung möglich sei, meint Hojnatzki. Doch dazu fehlten den Menschen die Informationen, oder sie seien gefärbt gewesen. Die Strahlkraft, die von einem so konzipierten „Wissensquartier“ ausgehen könne, sei nicht so groß, dass sich diese enorme finanzielle Anstrengung lohne, findet der SPD-Fraktionsvorsitzende.

Ein Projektstopp wäre nicht das Ende jeglicher Investion in diesem Bereich, das ist der SPD wichtig. Denn ein Umbau/Ausbau/Neubau des Stadtarchivs sei zweifellos unumgänglich, die räumlichen Kapazitäten seien erschöpft, unwiderbringliche Dokumente müssten besser geschützt werden. Dafür solle eine geeignete Immobilie gefunden oder neu gebaut werden – in jedem Fall als Zweckbau mit deutlich niedrigeren Kosten. Die Stadtbibliothek liegt nach Auffassung der SPD an der Dr.-Friedrich-Uhde-Straße am Stukenbrokpark unweit von Bahnhof und ZOB ohnehin an der optimaleren Stelle für die Nutzer. Für ohne Zweifel notwendige Baumaßnahmen (barrierefreies WC, energetische Sanierung von Dach und Fassade) will die SPD jetzt die Kosten ermitteln lassen und diese ebenso wie für das Archiv in einem Nachtragshaushalt später im Jahr verankern.

So könnte das „Wissensquartier“ aussehen: weiß die neuen Bauten, links daneben das heutige Stadtmuseum Auf dem Steinwege mit der Stichgasse, die zum Kindergarten führt. (c) Mosaik Architekten bda, Hannover

Nachtrag 17.02.2021: Mit 6:5-Stimmen-Mehrheit ist der Finanzausschuss dem Antrag der SPD gefolgt, die Baubschnitte 2 und 3 des „Wissensquartiers“ nicht weiter zu verfolgen. Ob diese Mehrheit im März auch im Stadtrat so stehen wird, bleibt abzuwarten. Während die SPD noch einmal erläuterte, dass es unverantwortlich viel Geld in der aktuellen Wirtschaftslage wäre, 20 Millionen Euro auszugeben, freute sich Dr. Reinhard Binder (FDP) überrascht über den Sinneswandel der Sozialdemokraten. „Es ist ja nicht zu spät.“ Die Freidemokraten hätten sich schon länger gegen das „Wissensquartier“ gewandt, und möglicherweise lasse sich dafür jetzt eine Mehrheit finden. Vertreter der CDU warnten vor dem Projekt-Stopp, er sei „ein Fehler“ (Ulrich Vollmer) und „ein falsches Signal“ (Albert Eggers). Leider folge die SPD „hasenfüßig“ ihrer Maxime, die sie schon bei anderen Projekten wie dem Neustädter Kirchplatz gezeigt habe, sagte Dirk Ebrecht (CDU). In der Krise gelte es besonders, strategisch nach vorn zu schauen, die SPD stehe aber lieber dauerhaft auf der Bremse. Man müsse ohnehin in die drei Institutionen investieren, „und wir sollten es lieber geschickt tun“, sagte Ebrecht. Die SPD habe damals vor überzogenen ZOB-Plänen gewarnt, „und da waren sie noch einsichtig“, sagte Rolf Hojnatzki (SPD), inzwischen liege eine für die Stadt deutlich günstigere Planung vor. Auch beim Neustädter Kirchplatz werde es nur immer teurer. Hojnatzki: „Und jetzt kommt die nächste Nummer, noch schöner, noch teurer.“ Das Projekt „Wissensquartier“ sei aber nicht diesen Umfang wert. Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek warb noch einmal für das Projekt und die Idee und Konzeption, die dahinter steht. Für die Fördermittel habe man viele Unterstützer in Bund und Land angesprochen und um Unterstützung gebeten, diese würde man jetzt mit einem Stopp vor den Kopf stoßen. Die Rathauschefin versuchte als Brücke zu bauen, die Mittel unter Vorbehalt ausreichender Fördergelder im Haushalt stehen zu lassen. Das fand ebenso wenig Konsens wie der Antrag der GfE/Bürgerliste, das Projekt um ein Jahr zu verschieben, eventuelle Förderbescheide abzuwarten und die eigentlich für 2021 vorgesehenen Kosten ins folgende Jahr 2022 zu schieben. Mit den in diesem Jahr eingeplanten Kosten von rund 843.000 Euro würde ohnehin zunächst nur die Planung vorangetrieben bis zur Ausschreibungsreife und noch nicht gebaut, sagte Baudirektor Joachim Mertens. Die GfE/BL möchte trotzdem bis zum Stadtrat geklärt haben, ob man die Summe mit einem Sperrvermerk für 2021 versehen kann und ob es eventuell nur oberflächlich kalkulierte Planungskosten sind, das gehe nicht.