Wie die SPD ihren Bürgermeisterkandidaten nominierte

Der Spannungsbogen war lang. Jetzt ist die Entscheidung gefallen – gut so. Es wurde Zeit. Die verantwortlichen Sozialdemokraten werden erstmal durchatmen, dass sie ihr aufwändiges, basisdemokratisches Nominierungsverfahren abschließen konnten. Trotz Corona-Hürden. Drei Stunden dauerte allein die Veranstaltung am Sonnabend unter hohen Hygiene-Auflagen mit viel Abstand und Platz in der großen Sporthalle. Zwei weitere Vorstellungsrunden hatte es schon gegeben, im Februar in Billerbeck und im März in Iber. Viele Sozialdemokraten, die nun abgestimmt haben, waren bei allen drei Treffen dabei, die formal nahezu identisch abliefen: Die drei Kandidaten stellten ihre Person und ihr Programm vor, antworteten auf Fragen. Die SPD-Mitglieder, jedenfalls die interessierten, dürften jetzt sehr viel über alle drei Kandidaten wissen, die sich zur Abstimmung gestellt hatten. Am Ende war das Ergebnis deutlich – und das bereits im ersten Wahldurchgang: Dirk Heitmüller ist nun der Bürgermeisterkandidat bei der SPD. Fast 60 Prozent der Mitglieder wollten ihn.

Verhaltener kurzer Jubel mit roten Rosen unter dem Basketballkorb: Dirk Heitmüller ist SPD-Kandidat, links Michaela Schnepel und Marcus Seidel aus dem Parteivorstand.

Der bestens vernetzte Salzderheldener Ortsbürgermeister fordert jetzt am 1. November die Amtsinhaberin heraus. Schwierig wird diese Wahl, das weiß der 50-Jährige. Aber er geht es zuversichtlich an – mit seiner Partei im Rücken. „Einer von uns, einer für uns“, das soll sein Slogan sein, sagte Heitmüller bei der Wahlkonferenz am Mittag. Und nur wenige Stunden nach der Entscheidung waren die dazu passenden Facebook- und Twitter-Seiten der SPD schon online. Eine kleine Social-Media-Gruppe hatte alles rechtzeitig vorbereitet.

Was hat den Ausschlag bei den 82 Mitgliedern gegeben, die ihre Stimmzettel abgegeben haben? Bei einer geheimen Wahl wird man das nicht so leicht herausfinden können. Doch es wurde spätestens am Sonnabend beim Treffen in der Sporthalle überdeutlich, was sich bereits in Iber angedeutet hatte. Die Mehrheit der SPD-Mitglieder setzt auf einen Kandidaten, der sich am stärksten einbinden lässt, der im höchsten Maße parteiinterne Solidarität verspricht. Der Parteidisziplin übt. Zu viel Selbstständigkeit mögen Sozialdemokraten nicht, die in Gremien denken, die immer mitgenommen und einbezogen werden wollen.

Deshalb wurde nicht Alexander Kloss der SPD-Kandidat. Er wurde bei der Versammlung in Einbeck noch viel deutlicher als bereits in Iber von einigen Genossen scharf kritisiert: Ratsfrau Eunice Schenitzki, Altbürgermeister Martin Wehner, Hanneliese Traupe und Michaela Schnepel gingen Kloss hart und teils emotional aufgebracht an. Da ging es um vermeintliche Einzelheiten (wer hat an wie vielen Parteitreffen teilgenommen und wer nicht) oder um den Slogan „Klare Kante Kloss“ und die persönliche Website und die Farben dort, die zu wenig Rot enthalten. SPD-Rot. Diese Kritik war ganz kleines Karo.

Viel entscheidender dagegen war die Antwort auf die Frage, wie stark ein SPD-Kandidat einen eigenen Kopf in den Parteistrukturen haben darf. Andere Genossen haben in der Vergangenheit schon mal von Beinfreiheit gesprochen. Es kam noch einmal zur Sprache, warum Kloss denn in seinem Vorstellungspapier schreibe, er stehe ohne Parteiämter an der Seitenlinie und sei neutral. Wie könne er da Teil des Teams SPD-Ratsfraktion sein? Ironischerweise wurde die Entscheidung über die Kandidatur nun auf einem Spielfeld in einer Sporthalle entschieden, mit Mitgliedern, die auf der Tribüne saßen. Alexander Kloss machte den Fehler, dass er auf diese Debatte seiner Kritiker zu intensiv einstieg. Das war schon in Iber so. Dass er alte Rechnungen wie die Nichtberücksichtigung als stellvertretender Bürgermeister jetzt begleichen mochte, verschüttete Milch wieder in die Flasche bekommen wollte. Das musste schief gehen. Die innerparteilichen Kritiker waren zu zahlreich und zu mächtig. Sie holten wie beispielsweise Ratsfraktionschef Rolf Hojnatzki flugs alte Protokolle hervor und zitierten Abstimmungsergebnisse bei der Vize-Bürgermeisterwahl vor vier Jahren. Das verfing bei vielen Genossen. Alexander Kloss machte deutlich, dass sein Herz für Einbeck schlage und seine politische Heimat die SPD sei. Er plane keine Alleingänge, sagte er. „Wir als SPD schaffen den Wechsel im Rathaus nicht allein, sondern wir brauchen Verbündete“, sagte Kloss. Und diese schaffe man nicht mit Betonkopfdenken, mit Aggression oder mit Taktik, sondern mit Aufrichtigkeit und Vertrauen.

Eine solche Angriffsfläche hat Dirk Heitmüller den SPD-Mitgliedern nicht geboten. Er präsentierte sich den Sozialdemokraten als erfahrener Kommunalpolitiker mit hohen Zustimmungswerten, mit einem beeindruckend großen, weit verzweigten Netzwerk in Salzderhelden und darüber hinaus, als gemütlicher Familienmensch mit Dackel Rudi. Und er war eine deutliche Spur bissiger bei seiner Kritik an der Bürgermeisterin. Das mögen die Genossen. Die meisten jedenfalls.

Am Sonnabend hatten die Abteilung Attacke noch Fraktionschef Rolf Hojnatzki und Kernstadt-Co-Vorsitzender Peter Traupe übernommen mit ihrer Kritik an der Bürgermeisterin. Das wird in Zukunft der Job von Dirk Heitmüller als Herausforderer von Dr. Sabine Michalek sein. Und zwar allein seiner. Er ist der Kandidat.

Die Wahl war aufwändig: Jeder holte sich mit Mundschutz seinen Zettel, ging in die Wahlkabine, warf dann den Stimmzettel in die Box. Helfer achteten darauf, dass die Mitglieder zwischeneinander genügend Abstand ließen.

Hojnatzki, der lange Zeit auch als potenzieller Kandidat galt, erinnerte in seiner zwölfminütigen Rede an die „unsägliche Rolle“ der Bürgermeisterin bei der Klage gegen die 380-kV-Trasse. Sie hätte Ratsmitglieder in Regress nehmen lassen für eine Solidarität mit den Bürgern der Stadt. „Wer seine Fehler nicht kennt und seine Schwächen nicht erkennt, kann daraus auch nicht lernen, das setzt sich in der aktuellen Krise fort“, sagte Hojnatzki in Richtung Bürgermeisterin. „Sie produziert täglich neue Bilder in der Zeitung, sehr freundlich lächelnd.“ Das sei in der Krise grundsätzlich nicht verkehrt, aber die Konsequenzen auf den Haushalt der Stadt Einbeck ließen sich nicht weglächeln. „Unsere Beteiligung als Stadtrat ist nicht erwünscht“, bedauerte er. Für Michalek gehe es doch nur darum, den Wahltermin zu überstehen. „Dass wir jetzt auf den 1. November gekommen sind, war schwer errungen“, sagte Hojnatzki. Am Liebsten wäre vielen gewesen, den 13. September „durchzuziehen“. Weil die konkreten Auswirkungen der Krise erst danach offenbar werden. „Und dann sind Leute gefragt, die das können, und nicht Leute, die in Krisenzeiten schon Probleme haben.“ Die SPD-Fraktion wünsche sich von einem neuen Bürgermeister „Respekt und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Rat, Achtung der Rechte, Schutz statt Regress, Beratung statt Bevormundung, frühzeitig Information“, sagte der Fraktionschef. „Wenn wir von Verwaltung sprechen, dann meinen wir ganz spezielle Leute, dann meinen wir nicht die Mitarbeiter, denn die leisten hervorragende Arbeit.“

Glückwünsche in Zeiten von Corona: Ulrike Schwartau gratuliert Dirk Heitmüller per Ellenbogen-Check.

Keine Experimente: Was einst ein Wahlkampf-Slogan von Konrad Adenauer war, gilt gewissenmaßen auch für die Einbecker SPD. Die Mehrheit entschied sich auch gegen einen viel Spannung versprechenden Wahlkampf Frau gegen Frau. Die Sozialdemokraten täten gut daran, die Überraschungskandidatin Ulrike Schwartau jetzt wenigstens für die nächste Kommunalwahl im kommenden Jahr aufzubauen und für die Ratsarbeit begeistert zu halten. Das sollten die Platzhirsche und Platzrehe in der Partei und in der Fraktion zulassen, schließlich wollen die Sozialdemokraten doch 2021 stärkste Fraktion im Stadtrat bleiben.

Abstimmung gewonnen (v.l.): Dirk Heitmüller ist Kandidat, Ulrike Schwartau und Alexander Kloss schafften es am Ende deutlich nicht.
Viel Platz für viel Abstand war in der Stadionhalle. Gut 30 Teilnehmer saßen auf der Tribüne, knapp 60 konnten auf dem Spielfeld sitzen.